Sie wollten schon immer mal einen Webstuhl rattern lassen? Dann ab in den Kurs!

Im Projekt «Webstuhlrattern» lernen Freiwillige, wie man die alten Seidenbandwebstühle bedient. Jetzt läuft die Anmeldefrist für neue Einführungskurse. Die TagesWoche war bereits im Juli an einem solchen Kurstag dabei.

Wer weiss, welches der Schaft und welches die Litze ist?

(Bild: Andrea Fopp)

Im Projekt «Webstuhlrattern» lernen Freiwillige, wie man die alten Seidenbandwebstühle bedient. Jetzt läuft die Anmeldefrist für neue Einführungskurse. Die TagesWoche war bereits im Juli an einem solchen Kurstag dabei.

Das Projekt «Webstuhlrattern» des Vereins «Textilpiazza» führt im Februar und März neue Einführungskurse durch (Infos siehe unten). Zu diesem Anlass schalten wir einen Artikel vom Juli 2016 wieder auf.

Ich bin ein wenig nervös, als ich im Postauto die Hügel Richtung Ammel hochkurve.

Die Erinnerungen an den Handarbeitsunterricht in der Schule sind keine schönen: schwitzige Hände, feuchter Stoff und eine Lehrerin, die mich streng anschaut und mir die Lismete nach Hause gibt, weil alle anderen Mädchen mit ihren Arbeiten längst fertig sind.

Damals hatten die Mädchen noch Handarbeit und die Knaben Werken, wie es sich gehörte.

Ein Prachtstück

Und jetzt gehe ich also in eine Posamenterstube; in Anwil findet ein Webstuhlkurs des Vereins Textilpiazza statt. Damit die alten Maschinen nicht untätig in den Museen verrotten, lernen interessierte Baselbieter, wie man einen Seidenband-Webstuhl bedient und wartet.

Das Prachtstück steht im Schopf gleich neben dem Restaurant Jägerstübli. Das grosse Gerüst aus Holz und grünem Metall füllt den kleinen Raum fast aus. An seiner Hinterseite hängen grosse Rollen auf Metallstäben, darauf aufgespannt sind rote, weisse, gelbe und blaue Fäden.

Hallo Reissverschluss, tschüss Seidenband

Noch Anfang des 20. Jahrhunderts stand in jeder dritten Bauernstube ein ähnlicher Webstuhl, der von früh bis spät ratterte und Seidenbänder für Hüte, Trachten, Puppen oder Haargeflechte webte und den Familien ein Zusatzeinkommen bescherte.

Doch dann kam die Industrialisierung, und viele Webstühle wurden in die Fabriken gezügelt – bis die Reissverschlüsse die Seidenbänder überflüssig machten und die meisten Webstühle verbrannt wurden.

Die, die übrig geblieben sind, stehen heute in 13 Ortsmuseen im Baselbiet. Einer davon in Anwil.

So lange sie leben

Acht Köpfe beugen sich über den Webstuhl, die Gesichter sind konzentriert. Die beiden Kursleiter, Hansruedi Wahl (65) und Bernhard Goossen (71) führen gerade vor, wie man Fäden einzieht.

Die beiden hatten zwar selber nie Webstühle zu Hause. Doch sie arbeiteten in der ehemaligen Bandfabrik Senn & Co. in Ziefen und betreuten bis in die 70er-Jahre die letzten Heimposamenter, die für die Fabrik noch Bänder webten.

«Wir müssen unser Wissen noch weitergeben, so lange wir leben», sagt Goossen. «Sonst stehen die Webstühle nachher in den Museen herum und niemand weiss, was damit anfangen.»

Irgendwann ist die Rolle leer

Goossen geht auf die Rückseite des Webstuhls, zieht seinen Kopf ein und steigt unter den Rollen hindurch in den Stuhl. Von dort aus greift er einen Faden von der Rolle und hält ihn Hansruedi Wahl hin. Dieser nimmt ihn mit einem Häkchen entgegen und führt ihn durch eine drei Milimeter grosse Öse, die von Auge kaum zu sehen ist.

Das Einziehen steht immer dann an, wenn eine Rolle leer ist und ein neuer Faden her muss – und irgendwann ist die Rolle immer leer, sofern der Webstuhl läuft.

Aber das kann dauern

Im Museum kann das Monate dauern, wie Kristine Grimbichler erzählt. Sie ist Mitglied des Verkehrs- und Verschönerungsvereins Frenkendorf und hilft im Ortsmuseum aus.

«Wir weben jeweils nur ein kleines Stück Band, wenn wir den Webstuhl für die Besucher anstellen», sagt sie. «Es dauert ewig, bis eine ganze Rolle Faden aufgebraucht ist.»

Und wenn es einmal so weit ist, weiss Grimbichler nicht, wie man den Faden wechselt. Dann muss sie jemanden anrufen, der das kann. Das wären Hansruedi Wahl, Bernhard Goossen oder sein Bruder Jan. Fertig.

Sie will es selber lernen

Deshalb ist Grimbichler hier. «Ich will selber lernen, wie ich unseren Webstuhl warten kann.»

Auch Rita Wunderlin kommt aus einem Museum, und zwar aus Sissach. Sie möchte weben lernen und es nachher ihrer Tochter beibringen, einer Handarbeitslehrerin.

Das wäre ganz im Sinne des Projekts «Webstuhlrattern». Das Ziel des Vereins Textilpiazza ist es, mit den Kursen das Wissen rund um die Seidenbandweberei zu erhalten. Finanziert wird das Ganze aus Geldern des Swisslos Fonds und aus Spenden.

Mehr Anwärter als Plätze

20 Leute werden momentan ausgebildet, wie Projektleiterin Céline Steiner sagt. Ausserdem macht sie ein digitales Handbuch, das die wichtigsten Handgriffe am Webstuhl erklärt.

Das Projekt läuft bis Anfang 2017. Profis werden die freiwilligen Lehrlinge in dieser Zeit nicht, doch Steiner hofft, dass die Kursteilnehmer danach weiter in Kontakt bleiben und das Weben üben.

Das Interesse an den Kursen sei gross, sagt Steiner. 40 Leute wollten teilnehmen, nur 22 hatten Platz im Kurs. Den Baselbietern scheint ihr Kulturgut am Herzen zu liegen.

Welch‘ Dekadenz

Für Wahl und Goossen steht fest, dass es eine Katastrophe wäre, wenn die Kunstfertigkeit komplett verloren ginge. Für sie ist der Verlust der Seidenbandweberei ein Zeichen für die Dekadenz der Gesellschaft.

«Die Leute haben kein Auge mehr für schöne Stoffe, Qualität ist ihnen egal», sagt Goossen. «Alles muss schnell gehen und billig sein.»

Wo keine Nachfrage ist, da ist auch kein Angebot

Man könnte natürlich auch fragen, wie wichtig es ist, ein Handwerk zu bewahren, das offenbar niemand mehr braucht.

Ist es nicht wie mit der Sprache? Es liegt in ihrer Natur, sich zu verändern. Auch Mode verändert sich. Früher trugen die Frauen Hüte mit Bändern, heute tragen sie keine Hüte mehr. Allerdings liesse sich mit diesem Argument jeglicher kultureller Anspruch und jeglicher Wunsch, altes Wissen zu bewahren, beiseite wischen.

Ein Kirsiband für die Schnapsflasche

Und hin und wieder hätte eben doch jemand gerne ein Seidenband. Goossen erzählt, letztes Jahr habe ein Schnapsbrenner ihn gefragt, wo er denn ein Band mit Kirschen darauf kriege, um seine Schnapsflaschen zu verzieren. Er musste ihm sagen: «Nirgends».

«So eine schöne rote Kirsche mit grünen Blättchen und einem Stil dran kannst du heutzutage gar nicht mehr weben», sagt Goossen. Er selbst wisse zwar noch wie: «Aber dafür brauche ich ausgeklügelte Webstühle, die es nicht mehr gibt».

Der Schnapsbrenner muss jetzt halt bedruckte statt gewobene Bänder kaufen.

Übrigens, man soll ja gründlich recherchieren, als Journalistin. Also habe ich selber versucht, einen Faden einzufädeln. Die Aufregung war gross, der Faden muss es gespürt haben. Er riss.

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Webstuhlrattern Einführungskurse (Februar/März): Während zwei Halbtagen oder Abenden lernen Sie, wie man einen mechanischen Bandwebstuhl bedient, wie man Fäden einzieht, gerissene Fäden flickt und ein neues «Spüli» einlegt. Zum Anmeldeformular.

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