Genug vom Lesen, Backen, Stricken? Die Winterzeit lässt sich auch anders überleben: Köpfhörer auf, Podcasts rein!
Kommt der Winter, kommt die Kälte. Und damit die wachsende Unlust, sich vor die Tür zu begeben. Also bleibt man zu Hause und macht Winterprogramm. Doch die Möglichkeiten für häuslichen Kurzweil sind entweder nur von kurzer Unterhaltung oder so hart bünzlig, dass selbst die notorischsten Stricknadelenthusiasten nach ein paar Tagen genug davon haben: Kekse backen, Pokémon durchspielen, ein Buch lesen (Bücher! Es gibt sie noch), stricken (yeah right) und für Mutige die eine oder andere Siedler-Partie.
Wenn alles versucht ist und nichts überzeugt hat, stellt sich unweigerlich die Frage: Was tun, wenn draussen der Schnee und drinnen das Hirn matscht?
Man begibt sich ins Internet. Aber nicht, um sich wie üblich von Schwachsinn zu Schwachsinn zu klicken, sondern um in ein neues Zeitalter des Geschichtenerzählens einzutauchen: Podcasts. Die man umsonst im Internet abonnieren und sich direkt ins iTunes oder aufs Smartphone laden kann. Klingt jetzt erstmal kompliziert, ist es aber nicht: iTunes Store auf, in der Suchfunktion Podcast-Namen eingeben und sich von grossartig erzählten Reportagen, Essays, Berichten und Gesprächen berieseln lassen.
Aber wie soll man bei der Masse an Angeboten bloss wissen, welche Podcasts am besten zu einem passen? Eine Abhilfe*:
1. Für Story-Fetischisten: «This American Life»
«This American Life» ist Everybody’s Darling unter den Podcasts: Die seit 1995 ausgestrahlte Sendung hat jeden erdenklichen Radiopreis gewonnen und ist mit rund zwei Millionen Hörern der beliebteste Podcast der USA. Jede Woche baut das Team um Super-Moderator Ira Glass eine einstündige Sendung um ein Thema – das kann von geheimen Identitäten über böse Kinder alles sein –, die vier bis sechs Kurzgeschichten enthält. Die Geschichten sind deshalb so gut, weil die Reporter von «This American Life» dem Namen der Sendung gerecht werden: Sie recherchieren vor Ort, durchleuchten Themen wie das Schulsystem und New Orleans zehn Jahre nach Katrina anhand von persönlichen Geschichten und erzählen diese anschliessend so wunderbar, dass man sich fragt, wieso man überhaupt noch Reportagen liest und nicht längst hört.
2. Für Gschpürschmis (im besten Sinne): «Love and Radio»
Anders als bei «This American Life» geht es bei «Love and Radio» meist um nur eine Lebensgeschichte. Und die Person, die sie erzählt, ist kein geübter Radiojournalist, sondern der Mensch, dem sie gehört. Kann schwierig sein, ist es bei «Love and Radio» aber selten. Das liegt einerseits an den begabten Produzenten, die die Lebensgeschichten so zurechtmachen, dass aus ihnen Hörerlebnisse werden, andererseits an den Geschichten selbst: Insider-Geschichten aus der Glam-Metal-Mafia, Erfahrungen einer Humiliatrix, die seltsame Fetische von Männern im Internet bedient, der Hirnschlag einer Neurowissenschaftlerin, die genau mitbekommt, was in ihrem Hirn im Moment des Schlaganfalls passiert, Aufzeichnungen einer Frau, die obsessiv ihre Nachbarn beobachtet oder die kürzlich erschienene, grossartige Geschichte von David und seinen Begegnungen mit dem Tod. Allesamt grossartig, allesamt herzerweiternd.
3. Für Musik-Nerds: «Song Exploder»
Wie schreibt Wilco seine Songs? Wer ist Andrew aus dem Song «Andrew in Drag» der Magnetic Fields? Wie kam Chet Faker auf den grossartigen Einstieg in «Gold»? Und was zur Hölle bedeutet der The National-Songtitel «Bloodbuzz Ohio»? Musiker und Komponist Hrishikesh Hirway findet die Antworten – indem er Musiker zu sich ins Studio einlädt und sie ihre Songs und deren Entstehungsgeschichten erzählen lässt. Im Gegensatz zu den anderen Grossen im Podcast-Regal, dauert «Song Exploder» meist nicht länger als zehn Minuten, inklusive Song am Ende der Sendung.
4. Für Krimifans: «Criminal»
Genug vom ewig depressiven Wallander? «Criminal» hat nicht nur die schönste Website aller Podcasts, es bietet auch das wohl zugänglichste Format: Spannende Geschichten über alte Damen, die zum Spass Raubüberfälle begehen, creepy Kinder, die ihre Eltern im Schlaf ermorden, fiese Diebe in einem versteinerten Wald in Arizona oder über die Familie eines KKK-Anhängers und Mörders, und wie sie mit dessen Taten zurechtkommen muss.
5. Für Kindgebliebene: «Mystery Show»
Mein Facebook-Status, als die erste Mystery Show Folge rauskam:
So war es und so ist es bis heute. In «Mystery Show» löst Show-Mami und wohl kurligste Podcast-Stimme Starlee Kine in bester Nancy-Drew-Manier Rätsel und sucht Antworten auf Fragen, die das Internet nicht beantworten kann: Was bedeutet das «THANK GOD FOR 9/11»-Autoschild, das Kine vor Jahren einmal an einem Wagen vor ihr gesehen hat? Wieso hält Britney Spears auf einem Paparazzi-Bild das gänzlich unbekannte Buch einer Freundin von Starlee Kine? Was hat es mit der geheimnisvollen Gürtelschnalle auf sich, die ein Bekannter Kines als Junge auf der Strasse fand? Der Podcast-Detektivin ist keine Frage zu klein und kein Rätsel zu gross. Und sie führt den Hörer schnurstracks in den Journalisten-Zauber: An fremde Türen klopfen, sich durch lästige Hotlines telefonieren, zwielichtige Menschen interviewen. Und dabei ganz grosse Geschichten aufstöbern.
6. Für Hipster (im besten Sinne): «99% Invisible»
Wären Podcasts Menschen, so wäre «99% Invisible» der Designerfuzzi mit dem Bart und den teuren Sneakers, den man vom ersten Augenblick an zu erkennen glaubt: Urgh, Hipster. Trinkt man aber ein, zwei Bier mit ihm, merkt man, dass hinter «Ich interessiere mich für Design und so» viel mehr als das Zelebrieren seiner Eames-Stühle (wieso haben eigentlich alle immer Eames-Stühle?) steckt. Er weiss alles über Superhelden-Kostüme. Über Beton. Über Sigmund Freuds Couch. Er weiss, wieso Monopoly wie Monopoly aussieht und kennt die hinterlistigen Geheimnisse von Einkaufscentern. Und er erzählt die schönste Geschichte über ein New Yorker Hotel, die ich je gehört habe. Kurzum: Er ist der klügste, schönste und spannendste Hipster, der einem je untergekommen ist. Und mein bester Podcast-Freund.
7. Für Internet-Geeks und solche, die es werden wollen: «Reply All»
Das Internet ist ein Moloch, besonders wenn man sich darin nicht wirklich auskennt. Zum Glück gibt es Menschen wie PJ Vogt und Alex Goldman: Einmal pro Woche erzählen die beiden Radio-Produzenten Geschichten aus dem Internet und führen unterhaltsame Gespräche mit Menschen, die es zu dem machen, was es ist. Zum Beispiel mit dem Erfinder des Pop-Up Ads (jener unglaublich mühsamen Werbung, die man ohne Adblock auf Websites immer weglicken muss) über den Zorn der Welt, den er mit dieser Erfindung auf sich gezogen hat, mit Polizisten, die fiesen Internet-Streichen auf den Leim gehen oder mit einer 60-Jährigen, die nach einer gescheiterten Ehe im Internet nach der grossen Liebe sucht. Und wer bis jetzt noch nicht überzeugt ist, der soll sich ihr Gespräch mit der «New-York-Times»-Korrespondentin Rukmini Callimachi über den IS und sein Verhalten im Internet anhören. Selten so viel erfahren und gelernt.
*Die Podcasts sind alle in Englisch. Wieso das so ist, fragt man am besten die Szene hier. Welche Szene? Eben. In Anbetracht der grossartigen englischsprachigen Podcast-Welt, komme ich selten dazu, mich bei den Deutschsprachigen umzuhören. Aber ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen!