Sind die Warteckhäuser nun doch geschützt?

Sind die Warteckhäuser letztlich doch geschützt? Ein Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2009 besagt, dass sich die Kantone nicht über das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder ISOS, in dem der Komplex als integral erhaltenswert taxiert wird, hinwegsetzen können. Für die Bauherren des Claraturms ist das Schicksal der Warteckhäuser so oder so besiegelt: «Abgerissen wird in jedem Fall, […]

Im Bundesinventar für schützenswerte Ortsbilder mit einem Abbruchverbot belegt: Warteckhäuser am Riehenring

Sind die Warteckhäuser letztlich doch geschützt? Ein Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2009 besagt, dass sich die Kantone nicht über das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder ISOS, in dem der Komplex als integral erhaltenswert taxiert wird, hinwegsetzen können.

Für die Bauherren des Claraturms ist das Schicksal der Warteckhäuser so oder so besiegelt: «Abgerissen wird in jedem Fall, gleich ob der Turm kommt oder nicht», sagte Riccardo Boscardin, des SIMA-Immobilienfonds der UBS Mitte Oktober an einer Medienkonferenz. Sie berufen sich auf die Tatsache, dass der 2005 gestellte Antrag des Denkmalrats, den Komplex unter Schutz zu stellen, von der Regierung (2007) und später auch vom Verwaltungsgericht (2008) abgelehnt wurde. Und dass das Bundesgericht (2009) auf eine Beschwerde privater Heimatschutzorganisationen nicht eingetreten ist.

Die Gegner der Claraturm-Vorlage – namentlich geht es um die Zonenänderung und der Bebauungsplan für die Erstellung eines Hochhauses – sind anderer Meinung. Sie berufen sich unter anderem auf den Eintrag der Warteckhäuser (pdf-Dokument) ins «Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder von nationaler Bedeutung» ISOS. Darin wird der Häuserkomplex mit dem «Erhaltungsziel A» taxiert. Das heisst, dass «alle Bauten, Anlageteile und Freiräume integral» zu erhalten und «störende Eingriffe» zu beseitigen seien – ein Verdikt, das explizit zu den Schlussfolgerungen «Abbruchverbot» und «keine Neubauten» führt.

Denkmalpflege und Verwaltung wiegeln ab

Denkmalpflege und Verwaltung messen dem Bundesinventar indes keine einschneidende Bedeutung zu. Gegenüber dem Regionaljournal Basel von Radio SRF sagte der Basler Denkmalpfleger Daniel Schneller, eigentlich ein Befürworter der Unterschutzstellung der Häuser, dass diese Liste lediglich als Planungsgrundlage für den Kanton diene. Und gegenüber der «Basler Zeitung» führte das Bau- und Verkehrsdepartement aus, dass ein Eintrag im ISOS nur eine Empfehlung sei, dass den Schutzanliegen des Inventars Rechnung zu tragen sei.

Tatsächlich herrschte lange Zeit die Meinung vor, dass die Bundesinventare im Zusammenhang mit dem Natur- und Heimatschutz nur für den Bund bzw. bei einer Bundesaufgabe zwingend zu berücksichtigen sind und die Kantone und Gemeinden sich bei ihren eigenen Anliegen im föderalistischen Sinne lediglich an die eigenen Vorschriften und Inventare zu halten haben. Ein Bundesgerichtsentscheid (BGE Rüti) aus dem Jahre 2009 korrigierte nun aber diese Auffassung.

ISOS auch für Kantone und Gemeinde «von Bedeutung»

Konkret ging es bei diesem Entscheid um einen Gestaltungsplan für das Zentrum der Zürcher Gemeinde Rüti, der ein 22 Meter hohe Überbauung vorsah. Das Bundesgericht stützte die Beschwerde eines Anwohners und hob einen entsprechenden Beschluss der Gemeindeversammlung und des Verwaltungsgericht auf. Massgabend für den Basler Fall der Warteckhäuser könnte nun der Umstand sein, dass das höchste Gericht sich explizit zur Bedeutung des ISOS im Falle von kantonalen und kommunalen Aufgaben bzw. Vorhaben äusserte. Wörtlich heisst es im Urteil: «Auch bei der Erfüllung von kantonalen (und kommunalen) Aufgaben sind indessen Bundesinventare wie das ISOS von Bedeutung.»

In einem von den eidgenössischen Departementen für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) und des Innern EDI in Auftrag gegebenen «Rechtsgutachten zur Bedeutung des Bundesgerichtsentscheides Rüti» wird dies folgendermassen verdeutlicht: «Wo früher bei der Erfüllung kantonaler und kommunaler Aufgaben die Schutzinteressen der Bundesinventare nicht von Beachtung waren, müssen sie nun in die Entscheidfindung einbezogen und eben gemäss ihres hohen Gewichts berücksichtigt werden.»

«Direkt auf den Einzelfall durchgreifen»

Konkret heisst dies laut dem Rechtsgutachten, dass die Kantone die Bundesinventare bei der Erstellung ihrer Richtpläne berücksichtigen «müssen». Und aufgrund der «Behördenverbindlichkeit der Richtplanung» haben die Schutzanliegen der Bundesinventare sodann auch in die massgeblichen Nutzungsplanung einzufliessen, also «insbesondere in die Ausscheidung von Schutzzonen und in die Anordnung von anderen Schutzmassnahmen». Im Rechtsgutachten zum Bundesgerichtsetscheid Rüti ist also nicht nur von «Planungsgrundlage» oder «Empfehlung» die Rede. Vielmehr heisst es, dass die Kantone und Gemeinden die Bundesinventare so berücksichtigen müssen, «dass diesen ganz konkret, in der Praxis, Bedeutung zukommt oder zuwächst».

Nun haben die Inventarobjekte aus dem ISOS – die Publikation für Basel-Stadt wurde erst kürzlich veröffentlicht – (noch) keinen Eingang in die entsprechenden kantonalen Pläne und Inventare gefunden. Aber auch dann können sich die Kantone und Gemeinden laut dem Rechtsgutachten nicht so einfach aus der Pflicht stehlen. So ist zu lesen: «Fehlt es auf kantonaler oder kommunaler Ebene noch an der Umsetzung (…), etwa, weil weder der Richtplan noch der relevante Zonenplan oder die Bauordnung zur Thematik etwas sagen dann müssen die Bundesinventare gleichsam direkt auf den Einzelfall durchgreifen.» Also im besagten Fall also zum Beispiel auf die Warteck-Häuser.

Ermessenspielraum

Ganz ausser Kraft gesetzt ist der Ermessenspielraum des Kantons durch den Bundesgerichtsentscheid aber nicht. Das ISOS legt keine eigentlichen Denkmalschutzobjekte fest, sondern beurteilt Ortsbilder oder Ortsteile in ihrer Gesamtheit. Der Kanton kann also nach wie vor abwägen, ob das Interesse an einem Eingriff in das Ortsbild jenes an der «ungeschmälerten Erhaltung» überwiegt. Im Falle des Claraturm-Bauprojekts haben sich der Basler Regierungsrat und der Grosse Rat für einen Eingriff entschieden.

Am 24. November können die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nun entscheiden, ob das Hochhaus gebaut werden darf oder nicht. Werden die Zonenvorschriften und der Bebauungsplan abgelehnt, dann ist aufgrund des besagten Bundesgerichtsentscheids durchaus vorstellbar, dass eine «ungeschmälerte Erhaltung» der Warteckhäuser wieder zum Thema werden könnte.

 

 

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