In Deutschland sorgt ein Skandal um Organspenden für Aufsehen. Ein Arzt am renommierten Göttinger Universitätsklinikum soll in grossem Stil Krankendaten gefälscht haben, damit die eigenen Patienten beim Empfang einer Spenderleber bevorzugt werden.
Der Fall sei unglaublich, sagte der Vorsitzende der Ständigen Kommission Organtransplantation, Hans Lilie, am Freitag der Nachrichtenagentur dpa. Er habe sich nie vorstellen können, dass ein deutscher Arzt so handle.
Es besteht der Verdacht, dass der frühere Oberarzt der Göttinger Universitätsklinik in mindestens 25 Fällen falsche Angaben gemacht hat. Die Bundesärztekammer habe eine Task Force eingerichtet, um die Affäre aufzuklären, sagte der Strafrechtler. Darüber hatte zuvor die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet.
Demnach könnte sich die Vorwürfe zum grössten Betrugsfall in der Geschichte der deutschen Transplantationsmedizin ausweiten. Einem Spitalsprecher zufolge bestritt der ehemalige Oberarzt gegenüber der Klinikleitung alle Vorwürfe.
Verdacht der Bestechlichkeit
Der 45 Jahre alte Mediziner war bereits vor Wochen ins Zwielicht geraten. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig (Niedersachsen) ermittelt gegen ihn unter anderem wegen des Verdachts der Bestechlichkeit.
Er soll Geld von einem russischen Patienten dafür angenommen haben, dass diesem in Göttingen bevorzugt eine Spenderleber implantiert wurde. Der Verdächtige arbeitet mittlerweile nicht mehr in der Göttinger Universitätsmedizin.
Spenderorgane werden nach einem streng festgelegten Kriterienkatalog von der Vermittlungsstelle Eurotransplant im holländischen Leiden an die Patienten in ihren acht Mitgliedsländern vergeben. Dabei geht es nach Dringlichkeit.
Der Göttinger Arzt soll den Gesundheitszustand seiner Patienten bewusst schlechter dargestellt haben, damit sie von Eurotransplant schneller eine Spenderleber zugeteilt bekamen. Er habe zum Beispiel vorgegaukelt, dass ein Mann, der auf eine Spenderleber wartete, auch Nierenprobleme habe und Dialyse-Patient sei, erläuterte Lilie.
Externe Gutachter-Kommission
Möglicherweise waren weitere Spital-Mitarbeiter in den Fall verwickelt. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand sei dies nicht auszuschliessen, sagte der Sprecher. Die Universitätsklinik Göttingen hat in der Affäre auch eine eigene externe Gutachter-Kommission beauftragt.
Wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete, war gegen den Mann bereits in der Vergangenheit ermittelt worden, weil er eine für das Klinikum Regensburg vorgesehene Spenderleber mit nach Jordanien nahm, um sie dort einzusetzen.
Die Universitätsklinik in der niedersächsischen Universitätsstadt gehört nach eigenen Angaben zu den zehn grössten deutschen Universitätskliniken. In dem Spital mit 1460 Betten und etwa 7000 Mitarbeitern sind alle medizinischen Fächer vertreten. Nach eigenen Angaben behandelt das Klinikum jedes Jahr 54’000 Patienten stationär und etwa 121’000 ambulant.