Sechs Monate nach Einführung der Negativzinsen zieht die Schweizerische Nationalbank (SNB) eine positive Bilanz. Der Negativzins erfülle aktuell einen sehr wichtigen geldpolitischen Zweck und sollte zur Abschwächung des Frankens führen.
«Wie beabsichtigt hat sich der Negativzins vom Geldmarkt auf den Kapitalmarkt übertragen», sagte SNB-Direktoriumsmitglied Fritz Zurbrügg am Donnerstag vor den Medien in Bern.
Der Geldmarkt funktioniere auch unter Negativzinsen gut. Laut Zurbrügg ist die Handelsaktivität am Geldmarkt zwar nach wie vor tiefer als vor der Finanzkrise, sie habe sich aber etwas belebt.
Zinsdifferenz gestiegen
Mit den über sämtliche Laufzeiten tieferen Zinsen habe der Negativzins auch die traditionelle Zinsdifferenz zum Ausland wieder etwas vergrössert. Diese hatte sich zuvor stark verringert.
«Die Zinsdifferenz an den Geld- und Kapitalmärkten ist heute höher, als sie es ohne Negativzins wäre», sagte Zurbrügg. Sie liege aber immer noch deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt, da die Zinsen im Ausland während der Finanzkrise stärker gesunken seien als in der Schweiz
Die grössere Zinsdifferenz trägt laut SNB dazu bei, dass Frankenanlagen relativ zu Anlagen in Euro und anderen Währungen weniger attraktiv sind.
Erholung der Schweizer Wirtschaft erwartet
SNB-Präsident Thomas Jordan rechnet derweil damit, dass die Schweizer Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte wieder wächst. Die Entwicklung der Schweizer Wirtschaft seit der Aufhebung des Euro-Mindestkurses am 15. Januar entspreche im wesentlichen den Erwartungen der SNB, sagte Jordan an der Medienkonferenz zur geldpolitischen Lagebeurteilung. Die Notenbank halte deshalb am gegenwärtigen Zinsniveau vorerst fest und beobachte die Auswirkungen weiterhin genau.
Vor der Medienkonferenz hatte die SNB kommuniziert, das Zielband für den Drei-Monats-Libor weiterhin bei -0,25 bis -1,25 Prozent zu belassen. Auch der Negativzins auf Giroguthaben bleibt unverändert bei -0,75 Prozent, wobei wie bisher mit Freibeträgen gewisse Anlagen von der Massnahme verschont bleiben.
Ökonomen hatten damit gerechnet, dass die SNB ihren geldpolitischen Kurs unverändert fortsetzt. Denn womöglich wollten sich die Schweizer Notenbanker die Option einer weiteren Zinssenkung für eine Eskalation der Griechenlandkrise vorbehalten.
Falls es – wie immer stärker befürchtet – tatsächlich zu einem sogenannten Grexit, also dem Austritt des südeuropäischen Landes aus dem Euro, kommt, sind grössere Devisenzuflüsse in den «sicheren Hafen» Schweiz zu erwarten oder zumindest nicht unwahrscheinlich. In einem solchen Fall könnte sich die SNB gezwungen sehen zu reagieren.
Keine grössere Kursausschläge
Nach dem Zinsentscheid der SNB sind grössere Kursausschläge an den Devisenmärkten zunächst ausgeblieben. Kurz nach Bekanntgabe des Entscheids um 09.30 Uhr wertete sich der Euro gegenüber dem Franken lediglich leicht von 1,047 auf 1,045 Franken ab. Auch der Dollar verlor etwas an Wert. Der Dollarkurs sank von 0,922 auf 0,920 Franken.
Der Euro notierte damit auf einem ähnlichen Stand wie bei der letzten geldpolitischen Lagebeurteilung der SNB im März. Nach der Aufhebung des Euro-Mindestkurses hatten Politiker und Unternehmer die Hoffnung geäussert, dass sich der Kurs bei 1,10 Franken einpendelt, was insbesondere den Exporten und dem Schweizer Tourismus helfen würde.
Vereinzelt waren Forderungen nach einem neuen Euro-Mindestkurs oder nach einer neuen Kursuntergrenze mit einem Währungskorb aufgekommen. Doch die SNB verzichtete am Donnerstag erwartungsgemäss darauf.