Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen können ab Juni Gesuche für Soforthilfe einreichen. Die Delegierten der Opfer und die Glückskette haben eine Vereinbarung unterzeichnet, welche die Details regelt. Damit ist der Soforthilfefonds offiziell geschaffen worden.
Betroffene können die Gesuche an Luzius Mader richten, den Delegierten für die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen, wie das Bundesamt für Justiz (BJ) am Dienstag mitteilte. Ein Ausschuss des Runden Tisches, dem Betroffene und Fachleute angehören, prüft die Gesuche.
Ab September sollen die ersten Auszahlungen erfolgen. Soforthilfen werden an Personen ausgerichtet, deren persönliche Integrität durch eine fürsorgerische Zwangsmassnahme verletzt worden ist und die sich heute in einer finanziellen Notlage befinden.
Geste der Solidarität
Vorgesehen sind einmalige Beiträge in der Höhe zwischen 4000 und 12’000 Franken. Es handle sich nicht um eine Entschädigung, sondern um eine Geste der Solidarität gegenüber Personen, die besonders darauf angewiesen seien, hält das BJ fest.
Es geht um ehemalige Verdingkinder sowie Personen, die von den Behörden wegen „Arbeitsscheu“, „lasterhaften Lebenswandels“ oder „Liederlichkeit“ in psychiatrische Anstalten und Strafanstalten eingewiesen wurden.
Dass ein Soforthilfefonds geschaffen wird, war bereits bekannt. Es handelt sich um einen Beschluss des Runden Tisches, den Justizministerin Simonetta Sommaruga einberufen hatte. Nun sind die Details geregelt. Die am Montag unterzeichnete Vereinbarung enthält präzise Richtlinien: Geld soll erhalten, wer die Voraussetzungen erfüllt, die auch für die Gewährung von Ergänzungsleistungen erfüllt sein müssen.
Beiträge von Kantonen
Der Ausschuss, der die Gesuche prüft, klärt jeweils auch ab, ob andere Möglichkeiten zur Verbesserung der finanziellen Situation ausgeschöpft worden sind. Sind die Voraussetzungen für die Leistung von Soforthilfe erfüllt, leitet der Delegierte das Gesuch mit einem positiven Antrag an die Glückskette weiter. Diese entscheidet formell über das Gesuch und nimmt die Auszahlung vor.
Der Fonds wird auf freiwilliger Basis durch die Kantone, Städte und Gemeinden, andere Institutionen sowie Private unterstützt. Einen wesentlichen Beitrag werden die Kantone leisten. Der Runde Tisch rechnet damit, dass ein Gesamtbetrag in Höhe von 7 bis 8 Millionen Franken zur Verfügung stehen wird.
Definitive Lösung geplant
Der Soforthilfefonds ist als Überbrückungshilfe bis zur Schaffung einer definitiven finanziellen Regelung in Form eines Solidaritätsfonds gedacht. Für diesen braucht es eine Gesetzesgrundlage. Weil deren Schaffung drei bis vier Jahre dauern wird und viele Betroffene bereits betagt sind, beschloss der Runde Tisch den Soforthilfefonds.
Mit Blick auf die definitive Lösung haben Betroffene im März eine Volksinitiative lanciert. Sie verlangen einen mit 500 Millionen Franken dotierten Wiedergutmachungs-Fonds. Bereits verabschiedet hat das Parlament ein Gesetz, mit dem das Unrecht anerkannt wird. Darin wird auch der Zugang zu Akten und die historische Aufarbeitung geregelt.
Entschuldigung des Bundesrates
An einem Gedenkanlass vor rund einem Jahr hatte Sommaruga die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen im Namen des Bundesrats um Entschuldigung gebeten. Gleichzeitig setzte sie einen runden Tisch ein, der eine erste Aufarbeitung in Angriff nehmen sollte.
Fürsorgerische Zwangsmassnahmen sind im 20. Jahrhundert in der Schweiz gegen mindestens 20’000 Menschen angeordnet worden. Erst 1981 wurde die Praxis der administrativen Zwangsversorgung aufgrund einer Gesetzesänderung gestoppt.