Solothurn 1: Draussen ist Sommer

Während sich die viele Filmemacher im selber Drehbücher schreiben üben, krallt sich Frederike Jehn eine Autorin. Das hilft. Was dabei herauskommt ist erst einmal eine grandiose Vorlage. Die «Solothurner Filmtage» sind im Gang. Als erste Überraschungen hat «Draussen ist Sommer» – nach dem Buch von Lara Schützsack, die auch am Drehbuch mitschrieb, verblüfft. Wanda zieht […]

Während sich die viele Filmemacher im selber Drehbücher schreiben üben, krallt sich Frederike Jehn eine Autorin. Das hilft. Was dabei herauskommt ist erst einmal eine grandiose Vorlage.

Die «Solothurner Filmtage» sind im Gang. Als erste Überraschungen hat «Draussen ist Sommer» – nach dem Buch von Lara Schützsack, die auch am Drehbuch mitschrieb, verblüfft.

Wanda zieht mit ihren Eltern und zwei Geschwistern in die Schweiz. Das neue Haus lädt hell und gross ein. Der Garten lockt zum spielen. Die nahe Natur verführt wie ein unergründlicher Dschungel. Es soll ein Neuanfang werden. Etwas aus der Vergangenheit soll vergessen werden, von dem wir zu Beginn noch nicht ahnen, dass es die Familie erneut zerrütten wird. Es soll der Familie wieder besser gehen.

Doch schon am ersten Tag prallt ein Vogel auf eine der grossen Glashausscheiben, und – stirbt. Dann folgen Faserrisse in der Fassade der Eltern. Langsam fangen wir an zu verstehen, warum der kleine Sohn kein Wort von sich gibt. Warum Wanda so dünnhäutig scheu ist. Warum ihre Schwester immer hinterhältiger wird.  Bis es schliesslich fast zu einem Tötungsversuch kommt, geschieht nicht viel mehr, als dass die Eltern sich ab und an streiten.

Derart unspektakulär, wie sich die Geschichte erzählt, bleibt der Film aber nicht: In einer konsequent durchdachten Bildwelt folgt die Regie dem Weg von Wanda in die verzweifelte Isolation. Was mit dem «Blauen Traum» bei der Klassenparty beginnt, endet im blauen Albtraum des Mädchens. Bis dahin hat sie den Nachbarsjungen im Blau der Nacht getroffen, hat ihm blauäugig von sich erzählt, während er ihr den blauen Swimming-Pool leerzaubert, und sie schliesslich aus tiefer Enttäuschung darin fast im tiefen Blau ertränkt.

Aber nicht nur der Look des Films ist geglückt. Auch die Schauspieler, vor allem die Jugendlichen, werden von der Kamera überzeugend ins Bild gesetzt.

Die Stationen einer unschuldigen Liebe finden vor der Kulisse eines elterlichen Bruchs statt, den Vaters Trinkerei fast ebenso unbemerkt auslöst, wie Mutters Depression. Wir kriegen davon eben gerade genug mit, um die Ausläufer der Eruptionen an den Kindern ablesen zu können. Wanda wird immer ausfallender, ihre Schwester immer zickiger, der Bruder verstummt völlig. Die Kamera lässt uns so lange aus der Kindersicht in den Abgrund schauen, wie wir auch mit den Kindern die Hoffnung bewahren, dass sie es schon wieder würden richten können. Bis auch der letzte Versuch von Wanda scheitert.

Der Film lässt hierbei die Geheimnisse der Figuren unverletzt. Das macht die Qualität des Filmes aus, dass uns nie erklärt wird, was wir selber verstehen lernen, und wir doch immer den Geschehnissen voraus sein können.

Zu dieser Qualität kommt die fast zärtlich genaue Bildsprache und – ein geradezu fantastisch uneitles Mädchengesicht: Was Maria Dragus (wir hatten sie in Hanekes Weissem Band schon gesehen) uns da als Wanda bietet, an Scheu, Trotz, Wut und Verstocktheit, das beweist, wie genau die Regisseurin hingucken konnte, wie viel Vertrauen sie in ihre Hauptdarstellerin hatte. Ihre schier unerschöpfliche Nähe zur Figur hilft sogar über ein paar – wenige – ungelenke Plattheiten bei der Führung der Eltern hinweg.  

Da ist also Frederike Jehn ein faszinierendes Porträt eines Mädchens gelungen, das sich in der Scheinwelt, die die Erwachsenen neu aufbauen wollen, nicht zurechtfinden will. Mehr: Mit Maria Dragus hat Frederike Jehn ein schlicht grandioses Gesicht gefunden, um all die Projektionen von Einsamkeit und Adoleszenz zu spiegeln, in denen wir uns etwas fröstelnd wiederfinden. Aber zum Glück ist draussen Sommer.

 

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