Solothurn 2: Tutto parla di te

Das ist das schöne an Solothurn: Der Schweizer Film schaut gern über seinen Tellerrand. Das heisst, wir sind auch ein wenig am italienischen Film beteiligt. «Tutto parla di te» ist ein schönes Beispiel mit – Längen. Die Mütter, die in «Tutto parla di te» befragt werden, müssen sich zurechtfinden. Sie haben keine Grossmütter in der […]

Das ist das schöne an Solothurn: Der Schweizer Film schaut gern über seinen Tellerrand. Das heisst, wir sind auch ein wenig am italienischen Film beteiligt. «Tutto parla di te» ist ein schönes Beispiel mit – Längen.

Die Mütter, die in «Tutto parla di te» befragt werden, müssen sich zurechtfinden. Sie haben keine Grossmütter in der Nähe, die ihnen sagen, wie das Leben weitergeht, jetzt,  wo das Kind da ist und rund um die Uhr auf Trab hält. Das ist für die meisten Mütter Alltag. Der Baby Blues. Viele halten es nicht ohne Absturz durch. Gerade weil das so normal ist, ist das beunruhigend. Derart allein, kann eine Frau fast in jedem Alter kurz oder lang das Gefühl kennen lernen, eine schlechte Mutter zu sein. Es läge also ein grosses Thema für einen Film bereit. Und eventuell auch noch Väter? Doch Alina Marazzi nimmt es nicht wahr. 

Sie hat die grosse Charlotte Rampling engagiert, die bereits ohne ein Wort zu sagen Tausende von Geheimnissen als Mutter oder Tochter im Gesicht preisgibt. Doch die Regie tut nichts, um dieser wunderbaren Schauspielerin den Weg in den Abgrund der Langeweile zu ersparen. 83 Minuten Härme sind selbst bei Rampling doch arg strapaziös. Kann sein, die Regie ist vor der grossen Schauspielerin in Ehrfurcht erstarrt. Mehr als ihr grosses Betroffenheitsgesicht lässt die Regie Rampling gar nicht erst aufzusetzen: Wie sie die Mütter interviewt, wie sie die Fotos von Müttern betrachtet, wie sie Mütter besucht, wie sie von Müttern erfährt, wie schwer sie es haben, wie sie die postnatalen Depressionen studiert – wir sehen eine Art halbdokumentarisches Rampling-Projekt.

Dabei birgt das Drehbuch auch grosse Momente. Jene Augenblicke etwa, wo ein Mutter nach Fassung ringt, wo sie, direkt in die Kamera, nach einem Geständnis sucht, dass sie ihr Kind hätte töten mögen, oder einfach irgendwo stehen lassen, am Rand ihrer Nervenkraft, als eine andere Mutter feststellt: Sie hat einfach aufgehört, ihr Kind zu lieben. Dass sie sich schon wie eine Mörderin vorgekommen sei. In solchen Momenten verstehen wir, wo das Potential des Filmes wäre: Dieser Blick in den verlorenen Generationenpakt von Mutter und Kind. Alina Marazzi ist darin eine würdige Nachfolgerin von Oriana Fallaci.

Darin ist «Tutto parla di te» immerin grandios aktuell. Die Tatsache, dass ein Kind nach der Geburt noch ca. 20 Jahre lang betreut werden will, scheint viele Mütter in «Tutto parla di te» mit voller Wucht zu überraschen. Nahezu unvorbereitet treffen sie auf ein Stück Leben, das ihr eigenes Leben mit Wucht aus der narzisstischen Selbstverwirklichung reisst: Das muss die Tänzerin in «Tutto parla di te» schmerzhaft einsehen: Sie ist mit ihrem Selbst noch weit entfernt von Verwirklichung. Zu ihrem Selbst aber scheint das Kind gar nicht zu gehören.

So trifft Pauline ihre Freundin Emma in einer delikaten Lage. Dort wo die junge Mutter entweder sich, das Kind, ihre Karriere, oder vielleicht auch nur ihr Selbstbild aufgeben muss. Da kann dann die Rampling dieser alten Freundin all die wunderbar sorgevolle Gesichter liehen, die sie hat, wenn sie alle Grossmutteregister zieht: Das verleiht jeder Mutter auf der Stelle Schuldgefühle – uns aber das Gefühl, sie hätte hierfür einen besseren Film verdient.

 

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