Solothurn 8: Rosie

Marcel Gisler kehrt aus Berlin ins St.Gallische Dorf zurück. Das seine Hauptfigur in ‚Rosie‘ das auch tut, ist kein Zufall. Marcel Gisler erzählt am liebsten aus seiner unmittelbaren Umgebung.  Sybille Brunner ist die alte Frau Meran. Sie trifft heute ihren Sohn, den erfolgreichen Schriftsteller Meran. Dazu zündet sie sich eine Zigarette an. Sie hört ihrem […]

Marcel Gisler kehrt aus Berlin ins St.Gallische Dorf zurück. Das seine Hauptfigur in ‚Rosie‘ das auch tut, ist kein Zufall. Marcel Gisler erzählt am liebsten aus seiner unmittelbaren Umgebung. 

Sybille Brunner ist die alte Frau Meran. Sie trifft heute ihren Sohn, den erfolgreichen Schriftsteller Meran. Dazu zündet sie sich eine Zigarette an. Sie hört ihrem Sohn zu. Allerdings nur im Fernsehen. Dort spricht er über seinen neuen Roman. Das rechtfertigt einen Schluck aus der Flasche. Ihr Sohn schreibt über einen Homosexuellen, sagt er, aber er sei kein homosexueller Schriftsteller. Dann fällt die alte Frau um. Tot? Es ist ein grandios beiläufiger Anfang.

Marcel Gisler hat als Hausautor für Lüthi und Blanc jahrelang sein Brot verdient. Er hat dabei gelernt, wie alles bügeltrocken und vorabendleicht erklärt werden muss. Er hat serienweise Dialoge zu Schoggi-Intrigen geschrieben. Er hat gelernt, Figuren sich deutlich begreiflich machen zu lassen. Er hat sich aber auch den Instinkt bewahrt für Geschichten, die vom Bügelbrett fernhalten. Ist «Rosie» so eine Geschichte?

Die Figuren und ihre Geheimnisse

Das erste Drittel von «Rosie» entwickelt von Moment zu Moment ein subtiles Netz von Beziehungen. Die Figuren haben ihre Geheimnisse. Der Fortgang der Geschichte bleibt offen. Was findet ein Autor, in seinem Heimatdorf vor, wenn ihm der literarische Ruhm der Grossstadt vorausgeeilt ist? Begeisterte Leser? Ehrfürchtige Nachbarn? Alte Intrigen?

Erst einmal findet er einen jungen Liebhaber. Da entwickelt nun der Drehbuchautor Gisler plötzlich Erklärungsbedarf. Plötzlich rutschen wir dann doch etwas ins Serien-Genre. Jetzt bloss nichts unerklärt lassen! Dann erst dürfen wir wieder auf die alte Spur zurück: Wie geht der Sohn mit der Trinksucht der Mutter um? Wie geht er mit der unglücklichen Beziehung seiner Eltern um? Erst einmal lässt der Schriftsteller seine neue Liebschaft gleich wieder fallen. Mario ist ihm zu naiv.

Eine Beziehung auf Sichtweite

Was in Berlin zwischen Kontakt-Klappe und Parkbank rasch eben mal abgehandelt würde, wird auf dem Land aber zu einer Beziehung auf Sichtweite. Erschwerend kommt dazu: Mario hilft der alten Frau im Alltag. Die Mutter kennt Mario. Er ist ihre letzte Stütze, bevor sie ins Altersheim muss. Was geschieht, wenn der bekennende Homosexuelle auf seine Vergangenheit stösst – vielmehr die seiner Mutter, seines ganzen Dorfes? Ihr Leben war nicht glücklich. Ihre Liebe verloren. Ihre Ehe von zahlreichen Affären geprägt. Ihre Alkohol-Sucht verheimlichte sie jahrelang. Jetzt geht das nicht mehr.

Gisler hat ein cleveres Gespür für den Bau eines Stoffes. Er lässt den Autor gleich selbst über seine Stoffe nachdenken, öffnet sogar den Kritikern das Auge für Schwachstellen, indem er sie gleich vor die Kamera stellt. Darin ist er meisterhaft. Am präzisesten dort, wo er sich darauf einlässt, dass er nicht immer alles erklären muss. Das gelingt ihm über weite Strecken vorzüglich – sekundiert vom hellwachen Fabian Krüger. Bei ihm dient der Schildkrötengang des Films unserem Vergnügen als Beobachter. Das birgt in vielen Szenen einen erhellenden Reiz.

Je mehr die Schleier über der Vergangenheit dann aber gelüftet werden, desto mehr rutschen wir zurück aufs Sofa des Fernsehpublikums. Das Ende etwa. Krüger hätte da mehr Konflikt getragen. Und auch Sybille Brunner hätte als Mutter mit noch mehr Starrsinn den Irrsinn dieser Geschichte erhellt. Da hat sich der Regisseur Gisler vom Drehbuchautor Gisler übers Ohr hauen lassen. Wenn der Regisseur Gisler sich nämlich auf die Qualität des Schauspielensembles verlässt, ist er dem Drehbuchautor überlegen. Ebenso, wenn er einfach nur Bilder macht: Wie er etwa das Abliefern der Mutter ins Altersheim ins Bild setzt, wortlos, aus der Ferne, als würde es niemanden etwas angehen, das ist schlicht grossartig.

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