Sommer 1816: Regenfälle, Unwetter und Hunger in der Schweiz

Im April 1815 brach in Indonesien der Vulkan Tambora aus. Die Folgen bekam im Jahr darauf auch die Schweiz zu spüren.

Die Eruption des Tambora im Jahr 1815 gilt als der grösste bisher dokumentierte Vulkanausbruch.

In den Jahren nach der Französischen Revolution von 1789 wurde Europa wiederholt von Kriegen heimgesucht. Nachdem Napoleon am 18. Juni 1815 bei Waterloo eine vernichtende Niederlage erlitten hatte und damit endgültig von der historischen Bühne abtreten musste, hofften viele auf bessere Zeiten. Doch ein Ereignis im fernen Indonesien sollte ihre Hoffnungen vorerst zunichtemachen.
Am 5. April 1815 nämlich erwachte auf der Insel Sumbawa der seit Langem erloschene Vulkan Tambora. Sein Ausbruch dauerte 12 Tage. Dabei dürften 60 bis 80 Megatonnen Schwefeldioxid in die Stratosphäre gelangt sein. Dort wurden daraus Sulfataerosole, die eine globale Abkühlung um rund ein Grad verursachten. Die Folge davon war, dass das Wetter allenthalben verrücktspielte.

Heftige Unwetter

In der Schweiz brachte der Sommer 1816 statt Sonnenschein Regen und Unwetter. Auch die Basler Landschaft war stark davon betroffen. Im Juni brach ein Unwetter über das Baselbiet herein, das, wie der Liestaler Historiker Karl Weber schreibt, «die Pflanzungen und das auf den Matten liegende Futter wegschwemmte, die Felder mit Geschiebe bedeckte und die Strassen zerriss».

Am 11. Juli tobte erneut ein Sturm. Er war derart heftig, dass mit Futter beladene Wagen umgeworfen wurden. Tags darauf stürmte es erneut, dabei fielen Kirschen von den Bäumen und brachen Rebschosse ab.

In anderen Teilen der Schweiz, namentlich der Ostschweiz, sah es nicht besser aus. Auch Deutschland wurde von Unwettern heimgesucht.

Bei der Nässe und Kälte mochte vielerorts das Getreide nicht reifen und das Gemüse nicht wachsen. Lebensmittel wurden knapp und teuer. Damit wurde es eng für jene Menschen, die keine Reserven hatten und über kein Vermögen verfügten.

Geröstete Brennnesseln

In seinem Büchlein «Das Hungerjahr 1817» schrieb Julius Studer hundert Jahre später: «Man will es heute nicht mehr glauben (…), dass es damals im Kanton Zürich Familien gab, welche tagelang von Wasser und gerösteten Brennnesseln sich nähren mussten und über Kartoffelschalen und Saubohnen herzlich froh gewesen wären. Man begreift es schliesslich, dass viele Personen an den Folgen solcher Nahrung, solch namenlosen Hungers erkrankten und elendiglich dahinstarben.»

Geforderte Behörden

Die kantonalen Behörden – die Schweiz war damals ein Bund autonomer Kantonalstaaten – reagierten unterschiedlich auf die Hungerkrise.

So griffen die Westschweizer Kantone früh in den Markt ein und kauften bereits im Herbst 1816 Getreide im Ausland ein, um die Preise senken und die Teuerung dämpfen zu können.

Die Ostschweizer Kantone warteten länger zu. Zum Teil verfügten sie über geringere finanzielle Ressourcen, zum Teil fehlte es aber auch am politischen Willen, alle vorhandenen Mittel einzusetzen.

Basel handelt

In Basel gingen die Behörden Hand in Hand mit wohlhabenden Privatleuten gegen die Hungerkrise vor. Damit die abgegebenen Lebensmittel auch bei den richtigen Leuten ankamen, wurde eine Liste der unterstützungsbedürftigen Armen angelegt, deren Zahl auf rund 6000 geschätzt wurde.

Der Spekulation mit Lebensmitteln wurde rasch ein Riegel geschoben. An die Gemeinden der Landschaft wurde gemäss der Zahl ihrer Armen Mehl, Weizen und Reis abgegeben, teils gratis, teils zu herabgesetzten Preisen.

An einigen Orten – beispielsweise in Sissach – richteten Pfarrherren Suppenanstalten ein.

Um die Not zu lindern und die Kaufkraft zu steigern, ordneten die Behörden auch Notstandsarbeiten an und liessen in mehreren Kantonsteilen Strassenreparaturen und -verbreiterungen vornehmen. Als Entschädigung erhielt ein Arbeiter pro Tag anderthalb Pfund Mehl, ein Pfund Brot und einen Batzen.

Im Jahr 1818 entspannte sich die Lage allmählich.

Den Zusammenhängen auf der Spur

Auf Sumbawa und in den umliegenden Gebieten bekamen die Menschen die Folgen des Vulkanausbruchs viel unmittelbarer zu spüren als bei uns. Während der Eruption verloren dort Tausende Menschen das Leben. Und Zehntausende starben in den nächsten Monaten, weil der Ascheregen Felder zerstört und Wasser vergiftet hatte.

Den Zeitgenossen blieb der Zusammenhang zwischen dem Vulkanausbruch in Indonesien und den Unwettern und Regenfällen bei uns verborgen. Erst nach dem Ausbruch des Krakatau im Jahr 1883 begannen Wissenschaftler, die atmosphärischen Effekte von Vulkanausbrüchen umfassend zu studieren. In einer 1913 veröffentlichen Publikation machte schliesslich William Jackson Humphreys deutlich, welche Folgen der Ausbruch des Tambora für unser Klima hatte.


Mehr zum Ausbruch des Tambora und seinen Folgen unter www.geography.unibe.ch/tambora_d

Zum Weiterlesen:

-John D. Post: The last great subsistence crisis in the western world. London/Baltimore 1977

-Daniel Krämer: «Menschen grasten nun mit dem Vieh». Die letzte grosse Hungerkrise der Schweiz 1816/17. Basel 2015

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