Der in Deutschland in der Zuwanderungs-Debatte häufig benutzte Begriff «Sozialtourismus» ist «Unwort des Jahres 2013». Mit dem Ausdruck werde gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer insbesondere aus Osteuropa gemacht, begründete die Jury ihren Entscheid.
Die Jury besteht im Kern aus vier Sprachwissenschaftlern und einem Journalisten. Zum «Unwort des Jahres 2012» war «Opfer-Abo» gewählt worden, 2011 «Döner-Morde». Die «Unwort»-Aktion gibt es seit 1991.
«Von einigen Politikern und Medien wurde gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer, insbesondere aus Osteuropa, gemacht», hielt die Jury unter Vorsitz der Sprachwissenschaftlerin Nina Janich am Dienstag in Darmstadt fest.
«Dies diskriminiert Menschen, die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles Recht hierzu.» Das Grundwort «Tourismus» verdrehe die Tatsachen und lege eine dem Vergnügen dienende Reisetätigkeit nahe.
Das Bestimmungswort «Sozial» reduziere die damit gemeinte Zuwanderung auf das Ziel, vom deutschen Sozialsystem zu profitieren. Ähnlich diffamierend sei «Armutszuwanderung».
Vokabular konservativer Parteien
Mit dem Begriff «Armutszuwanderung» bezeichnet die CSU gering qualifizierte Migranten, die nach ihrer Einschätzung vor allem Sozialleistungen in Anspruch nehmen wollen, aber kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Den Begriff «Sozialtourismus» hat laut Jury jetzt Staatssekretär Günter Krings (CDU) aus dem Innenministerium neu in Umlauf gebraucht.
In Deutschland war die Debatte über Zuwanderung und einen vermeintlichen Missbrauch des Sozialsystems von der CSU angeheizt worden. Die CSU-Bundestagsabgeordneten verabschiedeten auf ihrer Klausur vergangene Woche ein Papier, in dem es heisst: «Wer betrügt, der fliegt».
Bürgermeister einiger grosser Städte haben bereits im vorigen Jahr den Bund um finanzielle Hilfen gebeten, weil sich bei ihnen soziale Probleme mit einigen Zuwanderern aus Bulgarien und Rumänen ballten.
Nicht häufigster Vorschlag gewählt
Auch dieses Jahr wählte das Gremium einen Begriff, der nicht oft vorgeschlagen worden war. «Sozialtourismus» war dreimal genannt worden, «Opfer-Abo» für 2012 nur einmal.
Am häufigsten genannt wurde für 2013 mit 45 Vorschlägen «Supergrundrecht» – eine Bezeichnung, die während der NSA-Abhöraffäre der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich gebraucht hatte. Der CSU-Politiker vertrat die Ansicht, für Deutsche sei Sicherheit ein extrem wichtiges Recht, ein «Supergrundrecht». Es stehe höher als andere Grundrechte.
Neben der unabhängigen Jury in Darmstadt wählt davon getrennt die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden das «Wort des Jahres». Für 2013 wurde im Dezember das Schlagwort «GroKo» bekanntgegeben. Der Kurz-Begriff für die grosse Koalition in Berlin charakterisiere am besten das zu Ende gehende Wahljahr.