Atalanta Bergamo greift in der Serie A die Etablierten an und ein Schweizer spielt dabei eine Hauptrolle: Remo Freuler kann seine Ziele mit dem faszinierenden Aussenseiter revidieren.
Gegen 5000 Anhänger empfingen Atalanta Bergamo am späten Samstagabend nach dem 2:0-Coup in Neapel am lokalen Airport. Es dampfte und loderte vor dem «Orio al Serio». Die Tifoseria der Bergamasken ist entzückt. Fünfeinhalb Jahre nach der Promotion und einem bis anhin eher zähflüssigen Kampf um einen Platz im erweiterten Mittelfeld der Liga greift der Aussenseiter unverhofft die Etablierten an. 19 Punkte hat der Klub 2017 in acht Serie-A-Runden gewonnen und sich unter den Top 4 eingereiht.
Eine Hauptrolle spielt beim Aufsteiger der italienischen Klubszene Remo Freuler. Der Schweizer orchestriert im Mittelfeldzentrum den verblüffenden Spielfluss. Im San Paolo gehörte der Zürcher zu den Schwerarbeitern, die dem Druck der ambitionierten Einheimischen selbst in Unterzahl nahezu problemlos standhielten – notabene im Duell mit einer Squadra, die von den letzten 32 Heimpartien nur eine verloren hatte.
Freuler wertet den souveränen Auftritt als weitere Bestätigung für für ihre vorzügliche Organisation: «Wir arbeiten unglaublich solidarisch und verhalten uns in der eigenen Zone sehr clever.» Spielerisch hätten sie einiges zu bieten, vor allem im eigenen Stadion. «Es ist schwierig, gegen uns gut auszusehen», sagt Freuler zur Nachrichtenagentur sda.
Sie würden nicht einfach «auf gut Glück den Ball wegschlagen. Hinter allem steht ein Plan.» Und den hat Gian Piero Gasperini ausgeheckt. Die Methodik des Charakterkopfs schätzt Freuler: «Er macht einen exzellenten Job.»
Der lange Umweg
Knapp 13 Monate nach seiner Derniere beim FC Luzern ist der frühere Hinwiler Junior endgültig in der Serie A angekommen. Die Sprache spricht er inzwischen fliessend, das System ist programmiert, das Positionsgefühl ist gut wie nie. Was aktuell passiert, sei für ihn im letzten Sommer unvorstellbar gewesen. Manchmal könne er sein Glück kaum fassen.
Schwergewichte wie die früheren Champions-League-Sieger Inter Mailand und Milan sind hinter Atalanta klassiert, eine europäische Fortsetzung des Höhenflugs ist mittlerweile denkbar. Komplimente da, schöne Perspektiven dort, der Alltag Freulers ist süss. Den Kopf verliert er deswegen nicht, Freuler kennt auch die konträre Seite – Stillstand, Zweifel, Umwege.
Bis im Frühling 2014 mühte sich das bei den Grasshoppers überzählige Talent beim FC Winterthur auf zweithöchster Stufe ab. Nach seinem Out bei GC keimten grundlegende Fragen auf: «Will ich künftig überhaupt noch vollumfänglich auf die Karte Fussball setzen?» Er wollte und erhöhte sein Engagement: «Harte Arbeit und Selbstdisziplin ermöglichten mir das Comeback.»
Im Schaufenster
Derweil andere des goldenen Schweizer 92er-Jahrgangs wie Granit Xhaka, Haris Seferovic oder Josip Drmic früh auf internationaler Ebene Spuren hinterlassen haben, legte Freuler in jüngerer Vergangenheit markant zu. Seine ehemaligen Kollegen aus den SFV-Auswahlen seien für ihn Ansporn und Vorbild gleichermassen gewesen: «Ich musste viel investieren, um ihr Level zu erreichen.»
Sein persönlicher Aufwärtstrend ist nicht abgeschlossen. Der Zürcher Oberländer peilt weitere Fortschritte und Aufgebote des Nationaltrainers an. «Ich will keine Eintagesfliege sein.» Das Timing passt, die Destination stimmt. Atalanta geniesst in Italien einen hervorragenden Ruf. Immer wieder nahmen Versprechen oder Rückkehrer in der Lombardei Anlauf und produzierten später schöne Schlagzeilen – unter ihnen frühere Grössen wie Roberto Donadoni, Filippo Inzaghi, Christian Vieri oder Claudio Caniggia.
Er habe den Schritt nach Bergamo gezielt gemacht: «Ich kenne die Vergangenheit des Vereins und welche Idee zur seiner Philosophie gehört.» Ambitionierte Klubs beobachten die Entwicklung des Emporkömmlings exakt. Im Winter engagierte Inter Mailand Roberto Gagliardini, der aktuelle Abwehrchef Mattia Caldara wird zeitnah zu Juventus Turin wechseln. Freuler gefällt die exponierte Lage: «Wer bei Atalanta spielt, steht im Schaufenster.»