Grande Finale in Kiew – und auch im Hinterhof. Ab 20.45 Uhr wird der Europameister 2012 unter Spanien und Italien ausgemacht.
Das Ende der grossen Fussballsause naht, und man muss festhalten: Sie haben es gut hinbekommen, die Polen und Ukrainer. Den letzten Tusch spielen in Kiew Italien und Spanien, das als erste Fussballnationalmannschaft drei grosse Titel in Reihe (EM 2008, WM 2010) gewinnen kann.
Wobei: Der Wind hat merkwürdig gedreht. War es zuletzt noch Mode, den Spaniern für ihr Tiqui-Taca zuzujubeln, liegt man jetzt im Trend, wenn man ihr Spiel als langweiliges Ballgeschiebe denunziert. Der «Süddeutschen Zeitung» hat das der in Zürich ansässige TV-Kommentator Marcel Reif, Privatier während der Euro, weil sein Arbeitgeber «Sky» keine Rechte besitzt, so beschrieben:
«Spanien: Das ist so, wie wenn man der Oma beim Stricken zuguckt. Noch ‘ne Masche, noch ‘ne Masche. Dann geht man raus, Pippi machen, was essen, dann kommt man zurück und sieht, wie sie sich den Ball zuschieben: Iniesta. Busquets. Xavi. Busquets. Iniesta. Xavi. Busquets. – Kalter Glanz.»
Soll man es den Spaniern verübeln,
dass sie den Ball nicht hergeben wollen?
Okay: Dem spanischen Spiel fehlt bei dieser Euro sagen wir: Tiefe. Was auch damit zusammenhängt, dass ihnen in Abwesenheit von David Villa ein vernünftiger Mittelstürmer fehlt. Und die Gegner (mit Ausnahme von Portugal im Halbfinal) sich mit acht, neun Mann vor ihrem Strafraum verschanzen.
Das war noch ein Trend dieser Euro: Mit zackiger taktischer Disziplin nach Ballverlust in die defensive Ordnung zurückkehren. Da geht es auch gar nicht mehr darum, die Zweikämpfe zur Zerstörung des gegnerischen Spiels zu suchen, sondern vor allem darum, die Ballwege zuzustellen.
Soll man es den Spaniern verübeln, dass sie dann sagen: Okay, wenn ihr nicht mitspielt, dann geben wir den Ball einfach nicht mehr her? Und dass sie warten auf den einen, entscheidenden Fehler des Gegners?
Scheint so, als ob zu viele Teams den Champions-League-Final geschaut haben und sich ein Beispiel an Chelsea genommen haben. Umso schöner, dass die vier Halbfinalisten dieser Euro diese Strömung durchbrochen haben.
Muss man eben, um bei den Spaniern mit ihrem verehrungswürdigen Trainer zu bleiben, erst mal können, so ein langweiliges Ballgeschiebe, über 20, 30, 40 Stationen den Ball zirkulieren zu lassen. Xavi hat 533 Pässe gespielt bei dieser Euro, von denen 85 Prozent den Adressaten fanden. Da macht ihm kein anderer etwas vor. Es war dennoch noch nicht das grosse Turnier für ihn, zugegeben, aber heute ist ja noch ein Abend.
Aus Italien gegen Spanien kann
noch ein Kunstwerk werden
Und nur am Rande: Ist schon mal aufgefallen, wie die Spanier verteidigen? Seit dem Achtelfinal-Aus gegen Frankreich an der WM 2006 (1:3) hat Spanien in neun K.o.-Runden Spielen an EM und WM exakt kein Gegentor erhalten.
Dagegen kann Italien das Spätwerk von Andrea Pirlo halten, der dieser Euro seinen Stempel aufgedrückt hat. Toll, wie unitalienisch die Italiener aufgetreten sind, eine Mannschaft, die Teamspirit ausstrahlt, die, wie man im Halbfinal begutachten durfte, in Cesare Prandelli den besseren Jogi Löw haben, und dann noch diese Maschine namens Mario Balotelli.
Und dennoch: Noch fehlt dem Turnier eine Partie, die so ein bisschen die Sehnsucht aller Fussballfans nach dem unvergesslichen Spiel stillt. Italien gegen Spanien, das erste Gruppenspiel am 10. Juni und das 1:1 nach der Führung Italiens durch den eingewechselten Di Natale und dem postwendenden Ausgleich von Fàbregas hat einen Vorgeschmack gegeben, wie so ein Kunstwerk aussehen könnte. Die Hoffnung währt bis Sonntag Abend.
Live auf Twitter und Abpfiff im Hinterhof
Drei Wochen Kooperation zwischen Hinterhof, Sportmuseum und TagesWoche gehen heute zu Ende. Uns hat es viel Spass gemacht, spannende Leute kennengelernt auf dem Areal der ehemaligen Fruchthandel AG und in entspannter Atmosphäre Fussball geschaut. Das sollte beim nächsten Turnier unbedingt gepflegt werden.
Wer Lust hat mit der TagesWoche während des Finals zu zwitschern, kommt mit diesem Link weiter.