Die österreichische Bergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner, die Frau, die alle 14 Achttausender «by fair means» bestiegen hat, war mit ihrer Show «Leidenschaft 8000» in Basel. Der Frau der Rekorde sind Rekorde weit weniger wichtig als einzigartige Momente und Emotionen.
Die spinnt doch, diese Frau, denkt vielleicht einer, der schon dann den Lift nimmt, wenn er nur in den ersten Stock muss.
Diese Frau ist doch nicht ganz dicht, denkt vielleicht einer, der in seinem Leben noch nichts höheres bestiegen hat als einen Barhocker.
Die hat sie doch nicht mehr alle, diese Frau, denkt vielleicht einer, der schon dann nach dem Strassendienst ruft, wenn auf seinem Parkplatz ein halber Zentimeter Schnee liegt.
Wer am Donnerstagabend im Basler Stadtcasino der österreichischen Bergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner (43) zugehört hat, ihre Bilder und Sequenzen gesehen und Wort und Bild auch verstanden hat, denkt weder dies noch jenes und auch nicht das dritte, sondern weiss: Die Frau spinnt nicht, sie ist als Alpinistin einfach gut und stark; sie ist absolut dicht, hat in grossen Höhen nicht ihr Hirn verbrannt; und die Frau hat sie noch alle – nicht nur alle Tassen im Schrank, sondern auch alle 14 Achttausender bestiegen und hat erst noch alle Ohrläppchen, Zehen und Finger. Alles intakt, nichts erfroren, nie irgend etwas verletzt in rund zwanzig Jahren Bergsteigen auf höchstem Niveau und in höchsten Höhen. Die Frau ist nicht nur ganz oben angekommen, sie ist auch absolut bei sich geblieben – und so ähnlich lautet ja auch der Titel ihres Buchs*. Hörte es sich nicht so sehr nach Kitsch und Cliché an: Sie ist ein Star geworden und ohne Allüren geblieben; für jene unter den 400 Zuschauern im Casino, die signieren oder sich mit ihr fotografieren liessen, müssen das gute Momente gewesen sein, das war nicht ein routiniertes Erledigen von lästigen Wünschen.
Die ganz speziellen Momente
Ob sie nun die erste Frau ist oder nur die zweite oder dritte, die alle 14 Achttausender bestiegen hat, ist ihr nicht wichtig. Wichtig ist ihr, dass sie sie in jenem Stil bestiegen hat, der für sie selbst der richtige ist: Ohne Kolonnen von Hochträgern, ohne eingerichtete Lagerketten, meist in kleinen Teams und selbstverständlich ohne Verwendung von Flaschensauerstoff. Und wichtig sind ihr, wie sie im Gespräch mit der TagesWoche sagt, jene «speziellen Momente».
Wetterphänomene, Tiefblicke und Weitblicke, natürlich Erfolge, gemeinsame Erfolge insbesondere. Und da ist die Frau, neben ihrer ausserordentlichen Begabung in ihrem Sport, ein zweites Mal privilegiert. Sie ist nämlich seit 2007 mit einem Höhenbergsteiger verheiratet, dem Deutschen Ralf Dujmovits. Gemeinsam haben sie sechs der 14 Achttausender bestiegen, emotionaler Höhepunkt war die Besteigung des Lhotse, Ralfs 14. Achttausender.
«Es ist nicht in Worte zu fassen, was das für uns bedeutet hat», sagt Gerlinde Kaltenbrunner im Gespräch. Und letztlich brauchen wir es auch nicht zu wissen, es darf ja durchaus Dinge geben, die privat bleiben, auch für Spitzenathleten, die weltweit auf grosser medialer Bühne stehen. Als ihre schönsten sportlichen Erlebnisse nennt sie die Überschreitung des Shishapangma, natürlich die Tour auf den K2 über den Nordpfeiler – «natürlich» deshalb, weil sie für ihren letzten Achttausender vier Expeditionen und insgesamt sieben Aufstiegsversuche brauchte, aber auch die Besteigung des Nuptse, eines Berges, der «nur» 7861 Meter hoch ist, an dem sie und ihr Kletterpartner allein waren – und hinüber blicken konnten in die Flanken des Everests, wo sich eine Kolonne aus Hunderten von Alpinisten und Trägern aufwärts wälzte.
Schade nur für den Pfarrer und die Kirche
Die Ziele werden ihr also nicht ausgehen; auch wenn die «Leidenschaft 8000» vielleicht ausgelebt ist, die Leidenschaft Berg wird weiter bestehen, demnächst etwa in einer Expedition in die einsamen Berge im Süden Chiles. Und ihrem Beruf als Bergsteigerin wird sie noch einige Zeit nachgehen können. Ihren allerersten Berufswunsch übrigens, den sie gehegt hatte, hat sie nie verwirklicht. Weil es der Dorfpfarrer gewesen war, der sie als Elfjährige mit auf Bergtouren mitnahm und fürs Bergsteigen eigentlich «angefixt» hatte, hätte sie sich damals gut vorstellen können, Pfarrköchin zu werden. Gut, ist sie es nicht geworden. Wir wissen zwar nicht, was der Kirche und dem bekochten Herrn Pfarrer entgangen ist, wissen aber, dass der Bergsport um eine grosse Figur ärmer wäre.
*«Ganz bei mir». Von Gerlinde Kaltenbrunner mit Karin Steinbach. Malik Verlag 2012, 352 Seiten.