Die Stadt Genf hält trotz des Drucks aus Ankara an einer Fotoausstellung auf der Place des Nations vor dem UNO-Hauptquartier fest. In Bundesbern wird als Reaktion auf die Affäre die Streichung der Staatsbeleidigung aus dem Strafgesetzbuch verlangt.
Man halte an der Bewilligung für diese Ausstellung bis am 1. Mai fest, teilte die Genfer Stadtregierung am Dienstag mit. Die Ausstellung dieser Fotografien trage zur Verteidigung der freien Meinungsäusserung bei und hebe die Stellung der Stadt Genf als Hauptstadt der Menschenrechte hervor.
Positiv äusserte sich auch Bundesrat Didier Burkhalter zum Entscheid der Genfer Stadtregierung. «In unserem Land existiert die Meinungsäusserungsfreiheit», sagte er am Rande eines Treffens mit der EU-Aussenbeauftragten Federica Mogherini in Brüssel. Die Meinungsäusserungsfreiheit sei universal und gelte auch auf der Place des Nations. Dass es nun zu Spannungen zwischen der Schweiz und der Türkei kommen wird, glaubt Burkhalter nicht.
Türkische Botschaft relativiert
In den Fotos dokumentierte Demir Sönmez, ein Genfer Fotograf mit kurdischen und armenischen Wurzeln, Demonstrationen auf der Place des Nations. Ein Bild zeigt ein Banner, auf dem der frühere Premierminister und heutige Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan für den Tod eines Jugendlichen verantwortlich gemacht wird: «Ich heisse Berkin Elvan, die Polizei hat mich auf Geheiss des türkischen Ministerpräsidenten getötet.»
Das türkische Konsulat in Genf hatte die Entfernung dieses Fotos verlangt. Die türkische Botschaft in Bern gab am Dienstag an, das Gespräch mit der Stadt gesucht zu haben. Man respektiere die Freiheit jedes Künstlers. Jedoch würden die Äusserungen auf diesem Foto den Premierminister der Republik Türkei in einer ungerechten Weise unter Verdacht stellen.
Strafrechtliche Folgen?
Unabhängig vom politischen Entscheid Stadt Genf stellt sich auch die Frage nach strafrechtlichen Konsequenzen. Auch wenn das Foto von Demir Sönmez keineswegs mit dem Schmähgedicht von Jan Böhmermann im deutschen Fernsehen vergleichbar ist, kennt auch das schweizerische Strafrecht unter Artikel 296 den Straftatbestand der «Beleidigung eines fremden Staates».
Für die öffentliche Beleidigung eines fremden Staats in der Person seines Oberhauptes oder in seiner Regierung drohen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Für Andreas Donatsch, Strafrechtsprofessor der Universität Zürich, besteht im Fall der öffentlichen Ausstellung des Fotos mit Text von Sönmez der Verdacht der Beleidigung eines fremden Staates im Sinne der erwähnten Bestimmung.
«Wenn man sagt, jemand habe einen anderen umgebracht, dann ist das jedenfalls eine üble Nachrede im Sinne einer Ehrverletzung», sagte Donatsch am Dienstag zur Nachrichtenagentur sda. Die Frage einer strafrechtlichen Verfolgung sei deshalb diskutabel, zumal die Beleidigung in der Ausstellung öffentlich erfolgt sei.
Auch eine Weiterverbreitung der Aussage durch das Foto mit Text könne ehrverletzend sein. Allerdings könne gegen den Vorwurf der Wahrheitsbeweis vorgebracht werden. Das ginge auch in diesem Fall, allerdings müsste dann nachgewiesen werden, dass Erdogan die Tötung des Jugendlichen direkt oder indirekt angeordnet hat. Das dürfte aber schwierig werden, räumte Donatsch ein.
Ermächtigung des Bundesrats nötig
Bevor die Genfer Staatsanwaltschaft ermitteln könnte, müsste der Bundesrat grünes Licht dafür geben. «Die Verbrechen oder Vergehen dieses Titels werden nur auf Ermächtigung des Bundesrates verfolgt», heisst es dazu in Artikel 302 des Strafgesetzbuchs.
So wie im Fall Böhmermann in Deutschland eine Entscheidung von Kanzlerin Angela Merkel nötig war, müsste auch die Schweizer Landesregierung eine Ermächtigung geben. Allerdings müsste zuerst die Türkei ein Verfahren in Genf anstrengen und Anzeige einreichen.
Gegen den Artikel 296 des Strafgesetzbuchs erwacht allerdings Widerstand. Der Aargauer GLP-Nationalrat Beat Flach will am Mittwoch eine parlamentarische Initiative einreichen, wie er der Nachrichtenagentur sda sagte. Diese verlangt die Abschaffung des Gesetzesartikels «Beleidigung eines fremden Staats».
Feldzug gegen Medien
Es handelt sich nicht um den ersten Streit der Türkei mit der Stadt Genf. Ankara protestierte bereits gegen ein Mahnmal für den umstrittenen Völkermord an den Armeniern. Dieses wurde in der Rhonestadt bis heute nicht aufgestellt.
Auch in der Türkei haben der sich immer stärker autoritär gebärdende Präsident und seine Partei die Medienfreiheit immer weiter eingeschränkt, um ihre Macht im Land zu festigen. Sie greifen verstärkt in die Berichterstattung ein, die Zensur wurde verstärkt.
Seit Erdogans Amtsantritt als Präsident im Sommer 2014 sind fast 2000 Strafverfahren allein wegen mutmasslicher Beleidigung des Staatsoberhauptes eingeleitet worden.