Stadtkino in EDV-Nostalgie: «Computer Chess»

Lassen Sie kurz die Finger von Ihrem Bildschirm. Gönnen Sie sich einen Augenblick der Nostalgie: Als Computer Kinderschuhe trugen. Und Kinder keine Computer hatten. Das Stadtkino zeigt «Computer Chess». Da kommt der Autor ins Schwelgen. Mitten aus dem Herz der digitalen Vorpubertät erzählt uns «Computer Chess», wie damals alles wirklich war. Andrew Bujalski hat einen […]

Lassen Sie kurz die Finger von Ihrem Bildschirm. Gönnen Sie sich einen Augenblick der Nostalgie: Als Computer Kinderschuhe trugen. Und Kinder keine Computer hatten. Das Stadtkino zeigt «Computer Chess». Da kommt der Autor ins Schwelgen.

Mitten aus dem Herz der digitalen Vorpubertät erzählt uns «Computer Chess», wie damals alles wirklich war. Andrew Bujalski hat einen Halbdokumentarfilm über all die Nerds und Freaks und Cobol-Kenner aus den Annalen des Digitalen gemacht. Ein Zeitdokument mit Kult-Charakter.

Wer heute über Bildschirme wedeln muss, oder die Finger nicht von der Tastatur lassen kann, wird sich gerne erinnern. An jene verschwörerischen Zeiten von Atari und Floppy-Disk und Fortran. Das Stadtkino zeigt diese pfiffige Schwarz-Weiss-Nostalgie. Wer da nicht ins Abschweifen verfällt – gestatten Sie, dass ich es dennoch kurz tue …

Fast wie Erinnerungen an die Schulzeit

Wir ahnten, was unser Mathematik-Lehrer eigentlich im Schilde führte, als er uns – nachts! – durch das Werkstor der Ciba-Geigy führte. Der EDV-Raum befand sich im Untergeschoss. Er hatte die Grösse unseres Musiksaales und war gefüllt mit kultigen REVOX-Maschinen. Zumindest sahen die Bandspulen so aus, die da surrten und unregelmässig vor- und zurückschnellten. Wir waren gespannt, was uns die EDV-Maschinen in ihrer Sprache sagen würden: auf Cobol.

Warum waren wir nachts da? Tagsüber musste der EDV-Saal die Lohnbuchaltung der 40’000 Angestellten auf den Ultimo berechnen, nachts durfte die Forschung rechnen – und wir: Elf Sekunden Rechenzeit wurden uns zugestanden. Auf elf Sekunden mussten wir unser Problem in einer Sprache zusammenfassen, die nur der Computer verstand: Cobol.

Ob Dreiecksschenkel, Zahlenreihen oder ganz einfach Pi. Alle Klassenkameraden hatten ein mathematisches Problem formuliert. Ausser Gérard. Er hatte die Weltmeisterpartie von Boris Spasski gegen Bobby Fischer auf Lochkarten übertragen. Und wollte gern wissen, wie Fischer zu schlagen gewesen wäre, natürlich in Cobol.

«Komplex» murmelte der Mathematiklehrer angesichts des Lochkartenstapels in Gérards Hand. Der Techniker der Ciba hob nur die Augenbrauen und murmelte etwas Unverständliches – wahrscheinlich in Cobol.

Die Karten wurden eingelesen. Nach 10 Sekunden war das Spiel vorbei: Gérard verlor. Was nicht heisst, dass der Computer gewann. Die Bandmaschine verkündete nach elf Sekunden bloss, wie die Partie hätte eröffnet werden sollen: e4 > c5!

Lässig! Das war präziser als die Antwort des Computers Deep Thought in Per Anhalter durch die Galaxis, der auf die schwammige Frage nach dem Sinn des Lebens die Antwort gab: 42!

Ein Film im Stadtkino für jene, die bei der EDV-Geburt dabei waren

Nun aber rasch zurück zu der «Computer Chess»-Nostalgie im Stadtkino. Bujalski kann nämlich weit mehr, als nur unsere Erinnerungen wecken. Er lässt ein Häuflein von liebevollen Programmierern in einem Provinzhotel zum Schachduell aufeinandertreffen. Er lässt sie basteln, spielen, und schliesslich zum Ernstkampf übergehen. Scheinbar ungeordnet dokumentiert er den Verlauf einer Katastrophe.

Nun aber rasch zurück zu der «Computer Chess»-Nostalgie im Stadtkino.

Parallel zum Schachcomputerwettbewerb kommt es nämlich zu weiteren Treffen – z.B. einer sexuell sehr aufgeschlossenen Selbsterfahrungsgruppe, die auch in dem Hotel tagt und nächtigt. Ebenso tagen kritische Beobachter im Hotel, die im Digitalen bereits damals eine Quelle der Überwachung ausmachten. Klar, läuft nicht nur das Schachrechnertreffen rasch aus dem Ruder.

Die Kinderschuhe des Computer- und Videozeitalters

Im guten alten U-Matic-Sony-Schwarzweiss-Videokamera-Look singen Andrew Bujalski und sein Kameramann das Loblied auf das Atari-Jahrzehnt, als der Begriff ‹Künstliche Intelligenz› noch der letzte Schrei war. «Computer Chess» nutzt auch den Tagungsort filmisch geschickt: Das Provinz-Hotel bietet jede Menge Geheimnisse und Eigenleben und skurille Begegnungen. Ein schwarzer König. Eine weisse Läuferin. Und hin und wieder ein Bauernopfer.

Im Zentrum bleiben aber immer die steifköpfigen Computerkinder und ihre Väter: Als eine der Computerkonsolen nicht mehr will, tippt sein Besitzer die fast schon magische Frage ein: «Wer bist du?» Wir wissen aus 2001: A Space Odyssey vom Bordcomputer HAL – die Antwort kann geheimnisvoll sein. «Computer Chess» ist zu sehen und zu bestaunen im Stadtkino in der Reihe Le Bon Film. Schach.

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COMPUTER CHESS läuft am Donnerstag, 16.10. / 21 Uhr | Sonntag, 19.10. / 13:30 | Donnerstag, 23.10. / 18:30 | Samstag, 25.10. / 22:15 | Donnerstag, 30.10. / 21:00 im Stadtkino.

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