Der Ständerat lehnt die Volksinitiative «Für Ernährungssicherheit» ab – und stellt ihr einen eigenen Vorschlag gegenüber. Dieser lasse weniger Interpretationsspielraum, befand eine Ratsmehrheit. Möglicherweise ziehen die Bauern nun ihr Begehren zurück.
38 Ständeräte sprachen sich in der Abstimmung vom Dienstag für den Gegenvorschlag aus, 4 votierten dagegen. Die Initiative selbst hatte in der kleinen Kammer keine Chancen.
Eingereicht hatte die Initiative der Schweizer Bauernverband (sbv). Die Forderung: Der Bund müsse die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln aus «vielfältiger und nachhaltiger einheimischer Produktion» stärken. Dazu brauche es wirksame Massnahmen, insbesondere gegen den Verlust von Kulturland.
Mit dem Grundanliegen der Bauern zeigten sich viele Ständeräte einverstanden. Das Thema Ernährungssicherheit und ressourcenschonende Produktion habe einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung, sagte FDP-Ständerätin Karin Keller-Sutter (SG).
Allerdings habe die Initiative viele Nachteile, betonten mehrere Ständeräte mit Verweis auf einen Zusatzbericht. Dieser habe klar gezeigt, welche Folgen eine Annahme der Initiative hätte. «Talgebiet gewinnt, Berggebiet verliert; Pflanzenproduktion gewinnt, Milch und Fleisch verlieren; Masse gewinnt, Klasse verliert», fasste CVP-Ständerat Konrad Graber (LU) das Resultat zusammen.
Präziser und eindeutiger
Eine Ratsmehrheit sprach sich deshalb für den von der vorberatenden Kommission ausgearbeiteten Gegenvorschlag aus. Dieser nehme das Grundanliegen der Initianten auf, sei aber präziser und eindeutiger formuliert. Der Vorschlag sieht vor, dass für die Ernährungssicherheit ein umfassendes Gesamtkonzept in die Verfassung aufgenommen wird.
Dazu gehört die Sicherung der Produktionsgrundlagen, insbesondere des Kulturlandes, eine standortangepasste und ressourceneffiziente Lebensmittelproduktion und eine auf den Markt ausgerichtete Land- und Ernährungswirtschaft.
Mit dem Verweis auf «grenzüberschreitende Handelsbeziehungen, die zur nachhaltigen Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft beitragen» wird ein Anliegen der Fair-Food-Initiative aufgenommen. Zudem würde neu ein ressourcenschonender Umgang mit Lebensmitteln in der Bundesverfassung erwähnt, womit der Verschwendung von Lebensmitteln, dem sogenannten Foodwaste, Einhalt geboten werden soll.
Der Gegenvorschlag schaffe keine neuen «Subventionstatbestände», betonte Kommissionssprecher Isidor Baumann (CVP/UR). Und gemäss den Befürwortern hat der Gegenvorschlag einen weiteren Vorteil: Er nimmt die Anliegen von zwei hängigen Volksinitiativen auf, der Fair-Food-Initiative der Grünen und der Initiative für Ernährungssouveränität der Bauerngewerkschaft Uniterre. Die gemeinsame Schnittmenge der drei Initiativen sei die Ernährungssicherheit, sagte Hannes Germann (SVP/SH). Es sei deshalb richtig, dieses Anliegen in der Bundesverfassung aufzunehmen.
«Treten an Ort»
Gegen den Vorschlag des Ständerates und die Initiative argumentierten einzelne Vertreter von FDP und SP. Das Anliegen der Initiative sei bereits heute in der Bundesverfassung verankert, der Gegenvorschlag sei damit überflüssig. «Im Grunde genommen machen wir verfassungsrechtliche Haarspalterei für die Galerie», monierte Roberto Zanetti (SP/SO). «Wir treten agrarpolitisch an Ort und streiten darüber, wo wir an Ort treten sollen.» Die «ganze Übung sei unnötig».
Dem widersprachen die Befürworter vehement. Zwar sei die Ernährungssicherheit in der Bundesverfassung bereits erwähnt, ein Gesamtkonzept fehle aber. So werde im Gegenvorschlag unter anderem explizit formuliert, dass die Produktion, Veredelung und der Verkauf auf den Markt ausgerichtet sein müsse und nicht vom Staat geleitet werde, sagte Kommissionsprecher Baumann.
Ein weiterer Kritikpunkt der Gegner: Die Initiative sei eine reine Selbstvermarktungsinitiative des Bauernverbandes. Der Gegenvorschlag sei zwar tatsächlich besser formuliert, aber er sei wie auch die Initiative «rein deklaratorischer Natur», kritisierte Ruedi Noser (FDP/ZH). Denn ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf entstehe dadurch nicht. Dem widersprach Hannes Germann. Gemäss Übergangsbestimmungen müsse der Bundesrat innerhalb von zwei Jahren dem Parlament eine Gesetzesanpassung vorlegen.
Rückzug angekündigt
Der Bauernverband hat sich bereits vor der Debatte im Ständerat grundsätzlich hinter den Gegenvorschlag gestellt. Wesentliche Anliegen der Initiative seien darin berücksichtigt. Definitiv über einen Rückzug entscheiden will der Verband aber erst nach der Schlussabstimmung, wenn feststeht, in welcher Form ein allfälliger Gegenvorschlag verabschiedet worden ist.
Der Nationalrat hatte der Initiative in der Frühlingssession zugestimmt. Nun muss er auch noch über den von der Ständeratskommission ins Spiel gebrachten Gegenvorschlag befinden. Stimmt er diesem ebenfalls zu, kommt er vors Volk – unabhängig davon, ob die Bauern ihre Initiative zurückziehen oder nicht.
Der Bundesrat hatte sich gegen die Initiative ausgesprochen. Nachdem ein eigener Gegenvorschlag in der Vernehmlassung durchgefallen war, stellt sich der Bundesrat nun hinter den Vorschlag des Ständerates. Dieser sei eine Weiterentwicklung und verständlicher formuliert, sagte Bundespräsident Johann Schneider-Ammann. Zudem enthalte er weder protektionistische noch rückwärtsgewandte Aspekte.