Ständerat hält umstrittene Kantonsverfassungen für zulässig

Für den Ständerat stehen weder das Verhüllungsverbot des Kantons Tessin noch die Einbürgerungsbestimmungen des Kantons Bern im Widerspruch zum Bundesrecht. Die kleinen Kammer hat die Änderungen der jeweiligen Kantonsverfassungen am Donnerstag gutgeheissen.

Ständeräte beim Abstimmen (Archiv) (Bild: sda)

Für den Ständerat stehen weder das Verhüllungsverbot des Kantons Tessin noch die Einbürgerungsbestimmungen des Kantons Bern im Widerspruch zum Bundesrecht. Die kleinen Kammer hat die Änderungen der jeweiligen Kantonsverfassungen am Donnerstag gutgeheissen.

Damit folgte der Ständerat seiner Staatspolitischen Kommission sowie dem Bundesrat, die sich ebenfalls dafür ausgesprochen hatten, die umstrittenen Verfassungsänderungen zu gewährleisten.

Das Tessiner Stimmvolk hatte sich im September 2013 deutlich dafür ausgesprochen, Gesichtsverhüllungen im öffentlichen Raum zu verbieten. Die Initiative richtete sich gegen Gesichtsverhüllungen aus religiösen Gründen, also gegen Kleidungsstücke wie Ganzkörperschleier (Burka) oder Gesichtsschleier (Niqab).

Der Bundesrat gab zu bedenken, dass ein grosser Teil der schweizerischen Lehre im Gesichtsverhüllungsverbot im öffentlichen Raum einen Verstoss gegen die Religionsfreiheit sehe. «Frauen könnten diskriminiert und aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden», sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga im Ständerat. Nach Meinung des Bundesrats ist eine bundesrechtskonforme Auslegung der Tessiner Verfassungsänderung trotzdem «nicht von vornherein ausgeschlossen».

Andere Stimmen im In- und Ausland hielten ein solches Verbot zudem für zulässig. So ist gemäss einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Juli 2014 ein französisches Gesetz, das Gesichtsverhüllungen im öffentlichen Raum verbietet, mit der Menschenrechtskonvention vereinbar. Die Tessiner Verfassungsbestimmung lehne sich eng an den Wortlaut des französischen Gesetzes an, sagte Robert Cramer (Grüne/GE) im Namen der Staatspolitischen Kommission.

Umstrittene Berner Einbürgerungsinitiative

Die Änderung der Berner Kantonsverfassung geht zurück auf die Initiative «Keine Einbürgerung von Verbrechern und Sozialhilfeempfängern» der Jungen SVP, die im November 2013 überraschend angenommen worden war. Wer Leistungen von der Sozialhilfe bezieht, soll künftig nicht mehr eingebürgert werden.

Die Initiative knüpft die Einbürgerung im Kanton Bern an weitere Auflagen: Wer einmal zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist, soll ebenfalls nicht mehr eingebürgert werden dürfen. Gefordert werden zudem «gute Kenntnisse einer Amtssprache».

Die Verfassungsänderung könnte zwar gegen das Diskriminierungsverbot, das Gleichbehandlungsverbot oder das Verhältnismässigkeitsverbot verstossen, so die Einschätzung der vorberatenden Kommission des Ständerats. Und auch Justizministerin Sommaruga hielt fest, dass beispielsweise Personen, die wegen einer Behinderung auf Sozialhilfe angewiesen seien, diskriminiert werden könnten.

Ein Grenzfall

Die Änderung der Berner Kantonsverfassung sei ein «Grenzfall», sagte der Berner SP-Ständerat Hans Stöckli. Die Kommission habe sich überlegt, die Verfassungsänderung nur «unter Vorbehalt» zu gewährleisten, schliesslich aber auf dieses Vorgehen verzichtet.

Die Berner Verfassung verweise ausdrücklich auf den Rahmen des Bundesrechts, sagte Robert Cramer. Eine bundesrechtskonforme Anwendung der Verfassungsänderung sei unter diesen Voraussetzungen möglich. Dieser Einschätzung schloss sich auch Sommaruga an: Auf den ersten Blick schienen die Kriterien sehr absolut formuliert, der Bundesrat sei aber der Ansicht, dass die Verfassungsbestimmung genügend Spielraum für eine bundesrechtskonforme Umsetzung lasse.

Neben den beiden Verfassungen gewährleistete der Ständerat am Donnerstag auch jene der Kantone Uri, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, Waadt und Jura. Nun ist der Nationalrat am Zug.

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