Der Ständerat setzt die Masseneinwanderungsinitiative mit einer Vorzugsbehandlung für inländische Arbeitslose um. Das verträgt sich mit der Personenfreizügigkeit, wird aber der Verfassung nicht ganz gerecht.
Nach rund sieben Stunden Debatte stand am Donnerstagmittag das erwartete Ergebnis fest. Die kleine Kammer stimmte den Vorschlägen von Philipp Müller (FDP/AG) mit 26 zu 16 Stimmen bei einer Enthaltung zu. Die Stimmen kamen von FDP, SP und Grünen, die dem Konzept schon in der vorberatenden Kommission zum Durchbruch verholfen hatten.
Die Idee dahinter ist es, die Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften zu drosseln, indem inländischen Stellensuchenden in Berufsgruppen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit eine Art Startvorsprung eingeräumt wird. Sie sollen während einer bestimmten Frist exklusiven Zugang zu den Inseraten haben, die den Arbeitsämtern gemeldet werden.
Unternehmen können unter hohen Strafdrohungen verpflichtet werden, einige geeignete Stellensuchende zum Bewerbungsgespräch einzuladen, Ablehnungen sind zu begründen. Die Massnahmen können auf einzelne Kantone begrenzt werden, Ausnahmen sind ebenfalls möglich. Falls sich die Probleme am Arbeitsmarkt so nicht lösen lassen, darf das Parlament weiter gehende Massnahmen beschliessen. Diese müssten aber mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbar sein.
Warnung vor «Bürokratiemonster»
Die Vertreter von CVP und SVP bezeichneten das Konzept als «Bürokratiemonster». Dem widersprach Müller. Wegen der Einschränkung auf Berufsgruppen mit hoher Arbeitslosigkeit wären nach seiner Einschätzung lediglich einige Tausend Stellenwechsel pro Jahr betroffen. Er sprach von einer einfachen, zielgerichteten und administrativ tragbaren Lösung.
Die SP hatte sich in der Debatte auffallend zurückgehalten, unterstützte die Lösung des ehemaligen FDP-Chefs aber geschlossen. Gewerkschaftbunds-Präsident Paul Rechsteiner (SP/SG) lobte den «Arbeitslosenvorrang» als zielgerichtete und unbürokratische Lösung, von der vor allem ältere Arbeitslose profitieren könnten.
Der offensichtliche Mangel dieser Lösung ist, dass sie ohne Höchstzahlen und Inländervorrang auskommt. Das Wort «Verfassungsbruch» fiel mehr als einmal im Lauf der Debatte. Das liessen die Befürworter nicht gelten. Sie erinnerten daran, dass die Verfassung Neuverhandlungen über das Freizügigkeitsabkommen verlange. Was bei einem Scheitern der Verhandlungen zu geschehen habe, sage sie aber nicht.
Grenzen ausloten
Der Vorteil von Müllers Konzept ist, dass es wahrscheinlich mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbar ist. Das bestätigte Justizministerin Simonetta Sommaruga, sofern noch einige Anpassungen bei den Ausnahmen gemacht werden. Inoffiziell hatte vor einigen Wochen auch die EU grundsätzliche Zustimmung zur Lösung signalisiert.
Die CVP wollte der Konfrontation mit Brüssel nicht um jeden Preis aus dem Weg gehen. Ihr Wortführer Pirmin Bischof (SO) rief dazu auf, die Grenzen auszuloten. Im Dilemma zwischen Verfassung und Freizügigkeitsabkommen schlug er einen «Mittelweg» vor.
Sein Konzept glich in den Grundzügen jenem von Müller. Der wesentliche Unterschied aber war, dass das Parlament bei schwerwiegenden wirtschaftlichen Problemen Abhilfemassnahmen auch ohne die Zustimmung der EU hätte beschliessen können. Die EU solle kein Vetorecht bekommen, sagte Bischof.
Die Mehrheit sah keinen Vorteil darin, die Personenfreizügigkeit für eine halbherzige Umsetzung aufs Spiel zu setzen. Für eine harte Umsetzung war sie aber schon gar nicht zu haben. Unter Anrufung des Volkswillens hatte der Schwyzer SVP-Ständerat Peter Föhn Kontingente und einen Inländervorrang verlangt, bekam dafür aber nur 6 Stimmen.
Verfassung anpassen
Auch der Bundesrat hatte ursprünglich Höchstzahlen vorgeschlagen. Justizministerin Simonetta Sommaruga zog den Antrag aber zurück. Es habe sich immer um den Plan B gehandelt, sagte sie. Nun, da sich eine mit der Personenfreizügigkeit vereinbare Lösung abzeichnet, setzt der Bundesrat auf die Anpassung des Zuwanderungsartikels: Ein direkter Gegenvorschlag zur RASA-Initiative soll Verfassung, Gesetz und Freizügigkeitsabkommen wieder in Übereinstimmung bringen.
Zunächst geht die Vorlage aber wieder an den Nationalrat. Dieser hatte sich für den «Inländervorrang light» entschieden, der sich auf eine Stellenmeldepflicht beschränkt. Die grosse Kammer hat das Geschäft für nächsten Montag traktandiert. Schon am Donnerstagnachmittag wollte die vorberatende Kommission über das weitere Vorgehen entscheiden. Die Schlussabstimmung findet am letzten Tag der Wintersession statt.
Bis am 9. Februar 2017 muss die SVP-Initiative umgesetzt werden. Das verlangt die Verfassung. Die fristgerechte Umsetzung ist auch Bedingung für die Ratifikation des Kroatien-Protokolls, mit dem die Personenfreizügigkeit auf das jüngste EU-Mitglied ausgedehnt wird. Das wiederum ist die Voraussetzung für die Teilnahme der Schweiz an der EU-Forschungszusammenarbeit Horizon 2020.
Das letzte Wort in Sachen Zuwanderung ist mit der Schlussabstimmung aber nicht gesprochen. Zunächst ist offen, ob die SVP das Referendum gegen die Umsetzungs-Vorlage ergreift. Später steht dann der Urnengang über die RASA-Initiative und allenfalls einen Gegenvorschlag auf der politischen Agenda.