Die Zahl der Gemsen in der Schweiz sinkt seit zehn Jahren kontinuierlich. Lebten im Jahr 2005 noch über 97’000 Gemsen im Alpenbogen, so wurde die Population 2012 noch auf 92’000 geschätzt. Die Ursachen sind nicht klar, Bund und Kantone sehen aber Handlungsbedarf.
«Im November haben wir anlässlich einer Diskussion mit den Kantonen festgestellt, dass es den Gemsen derzeit nicht gut geht», sagt Reinhard Schnidrig, Chef der Sektion Jagd beim Bundesamt für Umwelt (BAFU), zu einem Artikel, der jüngst im «Walliser Boten» erschien.
Noch in diesem Jahr wollen Kantone und Bund die Situation der Gemsen genauer analysieren. Das Tier lebt gemäss Eidg. Jagdstatistik mehrheitlich in den Kantonen Wallis, wo 2012 rund 22’000 Gemsen ästen, im Kanton Graubünden (24’000), im Kanton Bern (13’400) und im Tessin (10’500). Aber Gemsen finden sich auch im Jurabogen.
Jagd, Krankheiten, Konkurrenzdruck
Die Gründe für den Rückgang der Gemspopulation sind zahlreich und von Region zu Region verschieden. Krankheiten sind eine Ursache – etwa die Gemsblindheit. Andere Faktoren sind weniger offensichtlich. «Wir müssen vielleicht das Wildtier-Management überdenken», sagte Schnidrig.
Dabei geht es um Jagdbanngebiete zum Schutz von Wildtieren. In einigen Gebieten verdrängen die zu zahlreich gewordenen Hirsche die Gemsen in weniger optimale Lebensräume. Schwierig wird dies für die Gemsen besonders im Winter. Hirsche und Gemsen teilen sich den gleichen Lebensraum und benötigen die gleiche Nahrung.
Zudem wurden in den vergangenen Jahren zum Schutz der Wälder und Jungtriebe die Kontingente für die Jagd erhöht. Der Jagddruck habe sich sicherlich erhöht, erklärte Schnidrig. Das Goms im Oberwallis zahle heute wohl den Preis für eine zu intensive Jagd, sagt der Oberwalliser.
Im Unterschied zum Rotwild können sich Gemsbestände nur langsam erholen. Eine Gemse hat erst im Alter von drei oder vier Jahren erstmals Junge. Und sie hat nur ein Junges pro Jahr, wie der Geschäftsführer von Jagd Schweiz, David Clavadetscher, sagt.
Zudem ist die Sterberate bei den Jungtieren hoch: In einem harten Winter sterben bis zur Hälfte davon. Dass es weniger Gemsen gibt, bekommen auch die Jäger zu spüren. 1999 schossen sie noch 17’000 Tiere. 13 Jahre später, 2012, waren es noch 13250.
Luchs und Wolf
Bei der Frage wie weit der Rückgang bei den Gemsen mit der Rückkehr von Wolf und Luchs in die Schweizer Alpen zusammenhängt, gehen die Meinungen auseinander.
Während Clavadetscher einen Zusammenhang sieht, sind für Schnidrig Wolf und Luchs derzeit noch aus dem Schneider. Vor allem die Kantone des Jurabogens und die Kantone im Nordwesten der Alpen wie Freiburg beklagen sich über den Luchs.
Doch der Gemsbestand in jenen Kantonen sei nicht so gross, dass damit der Rückgang in der Statistik zu erklären sei. Der Wolf bevorzugt den Hirsch als Beute. Das zeigt sich im Bündner Calanda-Massiv, wo eine Meute von zehn Wölfen lebt.
Dort sei der Hirschbestand zurückgegangen. Dafür haben die Jagdaufseher weniger verendete Tiere gefunden. Die drei bis vier Walliser Wölfe wiederum können gemäss Schnidrig gar keinen grossen Einfluss auf die Walliser Gemsen haben.