Der Felssturz im Calancatal in Südbünden hat sich in einem Gebiet ereignet, das dem Kanton als «potenziell gefährdet» bekannt war. Zudem liegt es auf Gefahrenkarten in einer roten Zone. Schutzmassnahmen drängten sich aber laut den zuständigen Ämtern nicht auf.
«Wir haben 2008 die Gefährdung auf der gesamten Strassenstrecke im Calancatal abgeklärt», sagte Christoph Nänni, leitender Geologe des Bündner Tiefbauamtes, auf Anfrage. Die Stelle des aktuellen Felssturzes sei für kleine Steinschläge bekannt gewesen.
Solche potenziell gefährdeten Stellen gebe es im Gebirge aber zahllose, überall wo eine Strasse unter einer Felswand durchführe. In Risikoberechnungen habe das Felssturzgebiet im Calancatal die Sicherheitsgrenzwerte nicht überschritten, sodass sich keine Massnahmen aufgedrängt hätten.
«Im Calancatal gibt es so viele Felswände, man kann nicht überall ein Monitoring einrichten», erklärte Christian Wilhelm vom Amt für Wald und Naturgefahren der Nachrichtenagentur sda. Zudem schütze ein Monitoring nur vor sich ankündigenden Ereignissen und nicht vor abrupten Felsabbrüchen.
Sicherheitsmassnahmen würden sehr viel Geld kosten, betonte Nänni. Vor dem aktuellen Felssturz etwa hätte nur ein Tunnel geschützt. «Eine Galerie wäre plattgemacht worden», sagte der Tiefbauamt-Geologe. Das Tiefbauamt versuche das vorhandene Geld optimal einzusetzen, an den gefährlichsten Stellen des Kantons also. Dazu zählte das aktuelle Felssturzgebiet nicht.
Rote Gefahrenzone galt für Siedlungen
An der tiefen Gefahreneinstufung hat laut Nänni auch der Umstand nichts geändert, dass die Stelle auf den Gefahrenkarten des Amtes für Wald und Naturgefahren als «rotes Gebiet» eingezeichnet ist, als «längerfristig potenziell gefährdet». Diese Karten zeigen primär die Gefährdung von Siedlungen und nicht die von Strassen.
Strassen könne man durch Gebiete führen, die für Häuser zu gefährlich sind, erklärte der Geologe. Fahrzeuge befänden sich nämlich nur Sekunden im Gefahrenbereich, Häuser immer. Das Risiko sei damit komplett verschieden.
Dennoch würden die Gefahrenkarten vom Tiefbauamt angeschaut. «Die Karten geben uns Hinweise, wo wir genauer hinschauen müssen.»
Neubeurteilung der Gefahr
Sowohl das Amt für Wald und Naturgefahren als auch das Tiefbauamt werden das Felssturzgebiet nun neu beurteilen. Die Amtsstellen wollen überprüfen, ob die bisherige Gefahrenbeurteilung noch gültig ist oder ob Massnahmen notwendig werden. Das Spektrum der Massnahmen sei breit. Man könne überwachen, instabile Felsen wegsprengen, Strassen verschieben oder Schutzbauten erstellen.
Beim Felssturz zwischen Molina di Buseno und Arvigo waren am Montagabend rund 5000 Kubikmeter Gestein niedergegangen, was einem Volumen von fünf Einfamilienhäusern entspricht. Auf der Calancastrasse blieben 2000 Kubikmeter liegen und türmten sich bis zu vier Meter hoch. Bis die schwer beschädigte Strasse freigeräumt und repariert ist, werden nach Schätzungen des Tiefbauamtes mindestens zwei Monate vergehen.