Ein Film über einen staatlichen Bestatter könnte eine traurige Sache sein: Doch wenn Uberto Pasolini (er hat u.a. «The Full Monty» produziert) sich hinter die Kamera stellt, wird das wundersam amüsant.
Totengräber, seit Shakespeare ein Beruf mit Weitblick
John May ist ein einsamer Mensch. Sein Job ist es, nach dem Tod von einsamen Menschen deren Begräbnis zu organisieren. Dazu gehört es, festzustellen, ob es Verwandte gibt. Gibt es keine, muss es trotzdem zu einem Begräbnis kommen. Dafür sorgt John May aus Pflicht. John May verfasst aber auch Grabreden für die Zeremonien, wählt Särge aus und bestimmt die Musik. Das macht er aus Mitgefühl. Auch für sich selbst hat John May bereits ein Grab gekauft: An aussichtsreicher Lage. Mit bestem Panoramablick auf die Stadt. Auch er wird einst ein einsames Begräbnis erhalten.
Doch dann erhält John May die Kündigung. Das Amt soll zusammengelegt werden mit anderen Ämtern. Der Staat hat kein Geld mehr für Begräbnisse. Seine Arbeit soll rationalisiert werden. Begräbnisse muss man wohl bald auch online selber durchführen. Nur noch für seinen letzten Fall will man John May im Amt noch sehen. Danach ist er freigestellt.
Wenn die Zeit stillsteht
«Still Life» gewährt uns einen Blick in ein komplett entschleunigtes Universum. Wir sehen tief in eine Welt hinein, in der selbst für Angehörige die Zeit still steht: Bei einem Todesfall. Der britische Regisseur Uberto Pasolini (er hat u.a. «The Full Monty» produziert) entwirft diese Welt der letzten Gewohnheiten durch die Augen des anonymen Hinterbliebenen. John May ist oft der einzige, der an den Begräbnissen neben einem Priester noch teilnimmt.
John May (Eddie Marsan, «War Horse», «Filth») ist der letzte Lebende, der sich den hinterlassenen Fragen der Toten noch stellt. Aber auch er weiss nicht immer, an wen er die letzten Wünsche richten woll, wenn keine Angehörigen mehr da sind, die für einen Augenblick innehalten.
«Still Life» ist ein Film, der in jene Klasse von Filmen gehört, die sich uns ins Herz einprägen, wie es sonst nur das milde Lächeln einer Grossmutter oder der stolze Blick eines Vaters tun können: Man muss diesem John May einfach zuschauen, mit welcher Gewissenhaftigkeit er die letzten Ruhekissen seiner Kunden vorbereitet. Robert Walser hätte uns dieses bescheidene Leben nicht akribischer schildern können. Hugo Lötscher hätte in seiner Fabulierlust vielleicht noch auf die Wut der Zukurzgekommenen verwiesen, denen John May die letzte Ruhe annehmlich macht. Dass er bei jedem Fall auch ein wenig an seinem eigenen Todesfall arbeitet, macht die Geschichte von John May doppelt hinreissend.
Wenigstens die letzte Würde des Menschen ist antastbar
John May steht mit seiner Unbestechlichkeit für all jene bescheidenen Menschen am Rande der Gesellschaft, jene Menschen mitten unter uns, deren Leben uns erst durch ihr Ableben unentbehrlich werden.
«Still Life» ist eine leise Reise, die wir mit dem sachverliebten May unternehmen, ganz ans Ende, ganz nach unten. Dorthin, wo man, von ganz unten, über die Welt sagen kann: Von ganz unten sieht man die oben immer mit den Füssen voran. Das macht bescheiden – und weitsichtig.
Der Film läuft in den Kult-Kinos.