Die Ecopop-Initiative ist überraschend deutlich gescheitert. 74,1 Prozent haben am Sonntag ein Nein in die Urne gelegt. Eine grosse Mehrheit der Stimmenden war offenbar nicht bereit, den Preis zu zahlen, der mit der radikalen Begrenzung der Zuwanderung verbunden gewesen wäre.
Rund 1’920’000 Personen lehnten die Initiative «Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» der Vereinigung Umwelt und Bevölkerung (Ecopop) ab, rund 671’000 legten ein Ja in die Urne. Auch das Ständemehr lag ausser Reichweite: Kein einziger Kanton nahm die Initiative an, auch nicht der Kanton Tessin, wo eine Ja-Mehrheit erwartet worden war.
Im Tessin war die Zustimmung mit 36,9 Prozent Ja aber grösser als in allen anderen Kantonen. In Schwyz kamen 34,2 Prozent Ja-Stimmen zusammen, in Obwalden 32,6 Prozent. Am deutlichsten ist die Ablehnung – wenig überraschend – in der Westschweiz: Der Kanton Waadt sagte mit 82,7 Prozent Nein, in den Kantonen Wallis, Neuenburg und Genf resultierten Nein-Stimmenanteile über 78 Prozent.
Gegenüber der letzten Trendumfrage von Mitte November verloren die Befürworter viel Unterstützung. Damals lehnten erst 56 Prozent der Befragten die Initiative ab, 39 Prozent wollten sie annehmen. Offenbar haben sich viele Unentschlossene auf der Zielgeraden gegen die Initiative entschieden, auch Befürworter müssen sich in der Zwischenzeit anders besonnen haben.
Druck von rechts
Dass das Abstimmungsresultat so deutlich ausfallen würde, war aber nicht zu erwarten gewesen. Zwar hatten alle bedeutenden nationalen Parteien die Nein-Parole ausgegeben, auch die SVP. Nur die in rechtsnationalen Kreisen einflussreiche Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS) und einige SVP-Kantonalparteien empfahlen Annahme der Initiative.
Dennoch schien es nicht ausgeschlossen, dass viele Stimmberechtigte aus dem ganzen politischen Spektrum noch einmal ihrem Unmut über die Zuwanderung der letzten Jahre Luft machen und ein Ja in die Urne legen würden. Zudem stilisierte die SVP das Resultat der Ecopop-Abstimmung zur Nagelprobe für die Umsetzung ihrer Masseneinwanderung-Initiative: Um den Druck aufrecht erhalten zu können, setzten ihre Exponenten rhetorisch alles an ein knappes Abstimmungsresultat.
Ging es beim Urnengang über die Masseneinwanderungsinitiative noch schwergewichtig um Zuwanderung und nicht um die Zukunft der bilateralen Verträge, wurde deren Bedeutung in der Ecopop-Kampagne offen in Frage gestellt. Sollte die EU darauf verzichten, wenn die Schweiz die Zuwanderung einschränke, wäre dies in Kauf zu nehmen, sagte beispielsweise SVP-Chefstratege Christoph Blocher in einem Interview.
Deutung steht noch aus
Ob das klare Ergebnis vom Sonntag als Absage an diesen europapolitischen Kurs zu deuten ist, wird erst die VOX-Analyse in einigen Wochen zeigen. Sicher ist aber, dass die radikalen Forderungen der Initiative der grossen Mehrheit der Stimmberechtigten zu weit gingen. Anders als die SVP gab sich die Vereinigung Ecopop nämlich nicht mit einer zahlenmässig unbestimmten Zuwanderungsbeschränkung mit ungewissen Folgen zufrieden.
Wäre ihre Initiative angenommen worden, hätte die Zuwanderung schon nächstes Jahr auf 0,6 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung praktisch halbiert werden müssen. Zwar waren gewisse Kompensations- und Ausgleichsmöglichkeiten vorgesehen, grundsätzlich hätte 2017 aber der definitive Plafond von 0,2 Prozent erreicht sein müssen. Das wären nach aktuellem Stand rund 16’000 Zuwanderer.
Nach Abzug von Flüchtlingen, Personen im Familiennachzug und zurückkehrenden Auslandschweizern wäre für die Bedürfnisse der Wirtschaft noch ein Kontingent von höchstens einigen Tausend Personen zur Verfügung gestanden. Es ist unwahrscheinlich, dass ein solcher Ausfall rechtzeitig durch die Aktivierung des inländischen Arbeitskräftepotenzials gedeckt werden könnte.
In Spitälern, auf Bauernhöfen oder in spezialisierten Unternehmen hätte plötzlich das geeignete Personal gefehlt. Der bisher durch die Zuwanderung gut geölte Wirtschaftsmotor wäre möglicherweise ins Stottern geraten. Dass die Initianten das Thema Zuwanderung mit Familienplanung in Drittweltländern verbunden haben, dürfte vielen Stimmberechtigen die Initiative nicht sympathischer gemacht haben.
Der Preis war bekannt
Die öffentliche Diskussion über die Zuwanderung und die Zukunft der Schweiz in Europa ist in den letzten Monaten intensiver geworden. Die Stimmberechtigten kannten den Preis, der bei einer Annahme der Ecopop-Initiative zu zahlen gewesen wäre. Der grossen Mehrheit der Stimmenden war er zu hoch – bei aller Skepsis gegen die Zuwanderung.
Die Ablehnung der Ecopop-Initiative mag deutlich sein, das Abstimmungsresultat vom 9. Februar macht sie nicht rückgängig. Die Verfassung verpflichtet Bundesrat und Parlament nach wie vor, die Zuwanderung wieder mit Kontingenten zu steuern. Der Bundesrat steht weiterhin vor der schwierigen Aufgabe, mit der EU die Personenfreizügigkeit neu zu verhandeln, ohne das ganze Vertragswerk der Bilateralen I oder gar den bilateralen Weg an sich aufs Spiel zu setzen.
Seine Vorschläge zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative will der Bundesrat in den nächsten Wochen präsentieren. Kommenden Freitag trifft Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann in Brüssel erstmals Mitglieder der neuen EU-Kommission. Die Aufgabe wird ihm leichter fallen mit dem Abstimmungsresultat vom Sonntag im Gepäck. Wie es mit der Schweiz in Europa weitergeht, ist aber nach wie vor offen.