Die Flucht eines gefährlichen Sexual-Mörders aus einem Neuenburger Gefängnis in diesem Sommer war die Konsequenz aus einer Reihe von Fehlleistungen und Missverständnissen zwischen den Neuenburger und den Berner Behörden. Der Kanton Neuenburg will nun Lehren aus der Affäre ziehen.
Der ehemalige Bundesrichter Claude Rouiller legte am Freitag einen Bericht zum Fall des im Sommer entwichenen Sexualstraftäters aus der Strafanstalt „Bellevue“ in Gorgier NE vor. Er kommt zum Schluss, dass Fehler auf der Ebene der Information, der Organisation und der Zusammenarbeit der Berner und der Neuenburger Behörden die Flucht des als gefährlich eingestuften und verwahrten Mannes ermöglichten.
Mängel gab es sowohl auf Berner als auch auf Neuenburger Seite, wie Rouiller sagte. „Sie sind ziemlich vergleichbar.“ Der Kanton Bern habe aber eine wichtige Rolle gespielt, denn er sei für die Einweisung des entwichenen Straftäters in die Anstalt „Bellevue“ sowie für den Vollzug verantwortlich gewesen.
Die Direktion des Gefängnisses setzte vielmehr eine Frau als Bezugsperson ein, was gegen die Weisung verstiess und sich laut Rouiller später als fataler Fehler erwies. Der Insasse habe sich nämlich in die Wärterin verliebt, die ihn auf dem Ausgang begleitete. Dies könnte den Mann angestachelt haben.
Keine Sicherheitsvorkehrungen getroffen
Laut Rouiller waren die beiden Wärter, darunter die weibliche Bezugsperson, unbewaffnet und trafen keinerlei Sicherheitsvorkehrungen. Nicht einmal Funkgeräte hatten sie dabei.
Der Verwahrte profitierte von diesen Umständen und ergriff am 27. Juni 2011 in der Region Provence VD am Neuenburger See die Flucht. Dabei bedrohte er seine beiden Begleiter mit einem Stück Glas und verletzte seine weibliche Bezugsperson an der Hand.
Ausgänge sistiert
Der Kanton Neuenburg wolle Massnahmen ergreifen, damit es nicht mehr zu einem solchen Fall komme, sagte der Neuenburger Justizdirektor Jean Studer nach Veröffentlichung des Berichts. Seit Ende Juni seien alle Ausgänge der Verwahrten und von als gefährlich geltenden Häftlinge im Kanton vorläufig sistiert.
Personelle Konsequenzen hatte Studer aus der Affäre unmittelbar gezogen. Der Gefängnisdirektor von Gorgier und sein Stellvertreter mussten zurücktreten. Ansetzen will die Regierung zudem bei der Ausbildung der Mitarbeitenden und der Weitergabe von Dossiers.