Strassburg rügt Italien wegen Abschiebungen nach Libyen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Italien wegen der Abschiebung von 24 afrikanischen Bootsflüchtlingen nach Libyen gerügt. Die Flüchtlinge seien dadurch dem Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt worden, erklärten die Strassburger Richter am Donnerstag.

Zurückgeschaffte Botsflüchtlinge kommen im Mai 2009 im Hafen von Tripoli an (Symbolbild) (Bild: sda)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Italien wegen der Abschiebung von 24 afrikanischen Bootsflüchtlingen nach Libyen gerügt. Die Flüchtlinge seien dadurch dem Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt worden, erklärten die Strassburger Richter am Donnerstag.

Die Flüchtlinge aus Somalia und Eritrea gehörten zu einer Gruppe von rund 200 Menschen, die auf drei Booten in Richtung Italien unterwegs waren. Im Mai 2009 wurden sie von der italienischen Küstenwache abgefangen und in die libysche Hauptstadt Tripolis gebracht.

Italien habe mit der Rückführungsaktion diese Menschen der Gefahr unmenschlicher Behandlung in Libyen ausgesetzt, heisst es im EGMR-Urteil. Die italienische Regierung muss den 22 überlebenden Flüchtlingen insgesamt 330’000 Euro Entschädigung zahlen.

Kein „sicheres Land“

Der Gerichtshof für Menschenrechte wies das Argument Italiens zurück, Libyen sei ein „sicheres Land“, das internationale Standards für den Umgang mit Asylbewerbern und Flüchtlingen einhalte.

Zahlreiche „zuverlässige Quellen“ hätten wiederholt auf die unmenschliche Behandlung von Flüchtlingen in Libyen hingewiesen und von Folterfällen berichtet. Dies habe auch Italien wissen müssen.

Grundlage für die Rückführung der Flüchtlinge war ein umstrittenes Abkommen zwischen Italien und dem nordafrikanischen Staat vom Februar 2008. Italien hatte mit dem damaligen libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi ein gemeinsames Vorgehen in der Flüchtlingsfrage vereinbart.

UNHCR: Urteil als „Wendepunkt“

Beim Verfahren in Strassburg waren Vertreter des UNO-Flüchtlingskommissariats UNHCR, der UNO-Menschenrechtskommission sowie mehrere Menschenrechtsverbände als Drittparteien zugelassen. Das UNHCR begrüsste das Urteil als „Wendepunkt“ bei der Frage nach der Verantwortung von Staaten im Umgang mit Flüchtlingen.

Der Gerichtshof habe den Schutz von Flüchtlingen auf hoher See entscheidend gestärkt, sagte die Asylrechtsexpertin bei Amnesty International, Franziska Vilmar. „Amnesty International fordert die EU-Mitgliedsstaaten nach diesem Urteil auf, Schutzbedürftigen endlich sicheren Zugang nach Europa und Recht auf Asyl zu gewähren“, sagte sie.

Der italienische Minister für Integration und Zusammenarbeit, Andrea Riccardi, sagte in einer ersten Stellungnahme, man werde die europäische Dimension dieses Entscheids sehr sorgfältig beachten.

Kontakt abgebrochen

14 der Beschwerdeführer wurden in Libyen vom UNHCR als Flüchtlinge registriert. Durch die Wirren der Revolution ist der Kontakt zu ihnen jedoch abgebrochen.

Verbindung haben die Anwälte gegenwärtig zu sechs der Kläger. Vier von ihnen leben in Benin, Malta und der Schweiz, einer in einem Flüchtlingslager in Tunesien und ein weiterer wurde in Italien als Flüchtling anerkannt.

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