Die Beihilfe zum Freitod für alte Menschen ist mehrheitsfähig. 68 Prozent der Bevölkerung befürworten den Vorschlag der Sterbehilfeorganisation Exit, die Suizidbehilfe auf lebensmüde Hochbetagte auszuweiten, wie eine Umfrage der Kirchenzeitung «reformiert» zeigt.
Am höchsten ist die Zustimmung bei den über 55-Jährigen, wie die repräsentative Umfrage des Instituts Léger zeigt. Im August befragten die Meinungsforscher rund 1000 Personen in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz.
Ein Grund für die hohen Werte war das Argument der Selbstbestimmung. Über drei Viertel der Befragten waren der Ansicht, dass Menschen auch im Sterben Eigenverantwortung wahrnehmen dürfen, wie «reformiert» am Donnerstag mitteilte. Rund die Hälfte könnte sich vorstellen, selbst einmal von der Möglichkeit eines Altersfreitods Gebrauch zu machen.
Religiöse Argumente gegen den Freitod stiessen dabei auf Ablehnung. Nur rund ein Viertel befand eine Lehre der Kirche zum Alterssuizid für wichtig.
Im Mai hatte die Sterbehilfeorganisation Exit ihre Statuten geändert, um eine Debatte über den Altersfreitod für lebensmüde Betagte anzustossen. Zur Zeit haben bei Exit ausschliesslich Schwerkranke einen Anspruch auf Sterbehilfe.
Kirchenvertreter drehen Resultat um
Die Statutenänderung sei auf Wunsch der Mitglieder vorgenommen worden, sagte Exit-Vorstandsmitglied Marion Schafroth in einem Interview mit «reformiert». «Der Hintergrund ist die Angst vieler, im hohen Alter zwar nicht sterbenskrank, aber gebrechlich, leidend und so eingeschränkt zu sein, dass das Leben nicht mehr lebenswert scheint», sagte Schafroth. Auch solche Menschen sollten das Sterbemittel erhalten können.
Auf eigene Faust werde Exit aber vorerst keine erleichterte Sterbehilfe für Betagte anbieten, sagte Exit-Vizepräsident Bernhard Sutter auf Anfrage. Dafür brauche es eine Gesetzesänderung.
Bei den Gegnern des Altersfreitods dreht man das Resultat um: Ein Drittel der Befragten sehe darin keine Option, sagte Frank Mathwig, Beauftragter für Theologie und Ethik beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund im gleichen Interview. Das sei bemerkenswert für eine liberale Gesellschaft.
Der Theologieprofesser der Universität Bern macht gesellschaftliche Defizite für den Sterbewunsch verantwortlich. «Nicht souveräne, hilfsbedürftige Menschen fühlen sich unter uns immer weniger heimisch», sagte Mathwig.
Die gesellschaftliche Solidarität werde schleichend aufgekündigt. «Wir müssen Räume für ein begleitetes Abwartenkönnen schaffen», sagte Mathwig.