Angesichts der humanitären Tragödie in Syrien hat Justizministerin Simonetta Sommaruga Anfang September die Regeln für die Visaerteilung gelockert. Nach etwas über einem Monat haben 850 Angehörige von in der Schweiz wohnhaften Syrerinnen und Syrern ein Visum erhalten.
Das teilte das Bundesamt für Migration (BFM) am Freitag mit. Wie viele Gesuche noch hängig sind, wird nicht ermittelt. Das BFM geht aber davon aus, dass es mehrere hundert sind.
Die Visa sind 90 Tage gültig. Einmal in der Schweiz, können die Menschen aus Syrien entweder ein Asylgesuch stellen oder um vorläufigen Aufenthalt ersuchen. Da eine Rückschaffung nach Syrien derzeit nicht möglich ist, dürften sie damit rechnen, vorerst in der Schweiz bleiben zu können.
Visa für Grossfamilie
Aufgrund des verfassungsmässigen Rechts auf Familiennachzug konnten Syrerinnen und Syrer mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligungen schon bisher ihre Ehegatten und minderjährige Kinder in die Schweiz holen. Seit dem 4. September gilt diese Einschränkungen nicht mehr.
Auf Geheiss von Justizministerin Sommaruga gestattet das BFM auch den Nachzug von Eltern, Grosseltern, Kindern über 18 Jahren, Enkelkindern sowie Geschwistern und deren Kernfamilie. In der Schweiz leben derzeit knapp 1600 Syrerinnen und Syrer mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung, die aufgrund dieser neuen Regelung ihre Verwandten in die Schweiz holen können. Hinzu kommen rund 400 schweizerische Staatsbürger syrischer Abstammung.
Die erste Bilanz zeige, dass diese Neuerung einem grossen Bedürfnis entspreche, schreibt das BFM. Die meisten Visa seien erwartungsgemäss in Beirut ausgestellt worden. Anträge können auch in den Schweizer Vertretungen in der Türkei, Jordanien oder Ägypten gestellt werden.
Bürokratische Hürden
Tatsächlich in die Schweiz eingereist sind unter dem neuen Regime bisher lediglich 44 syrische Staatsangehörige. Das BFM hält es für möglich, dass viele Visa sozusagen auf Vorrat beantragt werden. Möglich ist aber auch, dass die Syrerinnen und Syrer trotz gültigem Visum an den hohen Kosten für die Ausreise oder an bürokratischen Hürden scheitern.
Ein Hindernis sind fehlende Reisedokumente. Für die Erteilung des Visums ist ein gültiger Pass zwar keine Bedingung, wohl aber für die Ausreise aus dem Libanon, der Türkei oder Jordanien.
«Wir haben Anrufe von Leuten erhalten, deren Angehörige Probleme hatten mit den Reisepapieren», sagte Stefan Frey, Sprecher der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), auf Anfrage. Er berichtet etwa von einer Familie, die beim Check-in von der Airline abgewiesen worden ist.
Auch bei der Bearbeitung der Visaanträge habe es Probleme gegeben, weil offenbar nicht alle Auslandsvertretungen über die gleichen Informationen verfügten. «Es ist sehr kompliziert, bis die Leute alle Papiere haben und alles organisiert ist», sagte Frey.
Verfahren verbessern
Beim BFM ist man sich dieser Probleme bewusst. Fehle ein Reisepass, werde von der Botschaft ein sogenanntes Laissez-Passer ausgestellt, um die Einreise zu ermöglichen, heisst es auf Anfrage. Auch darüber sind allerdings nicht alle Botschaften ins Bild gesetzt worden.
SFH-Sprecher Frey sieht die langsame Einreise der Syrerinnen und Syrer nicht nur negativ. Damit habe man in der Schweiz die Möglichkeit, die Verfahren zu testen und zu verbessern, sagte er.
Zudem können die einreisenden Personen nach und nach untergebracht werden. Das BFM rechnet damit, dass ein Grossteil der in die Schweiz eingereisten Syrerinnen und Syrer zumindest in der ersten Zeit bei ihren Verwandten unterkommt. Allfällige Sozialhilfekosten im Asylverfahren oder nach einer vorläufigen Aufnahme übernimmt der Bund.
Millionen auf der Flucht
Die erleichterte Visaerteilung ist nicht zu verwechseln mit dem Kontingent von 500 Flüchtlingen, das Sommaruga aufnehmen will. Auch davon sollen unter anderem Kriegsvertriebene aus Syrien profitieren, jedoch vorwiegend besonders verletzliche Personen wie Frauen und Kinder. Diese werden vom UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR ausgewählt.
Nach Angaben des BFM sollen innerhalb von Syrien über 4 Millionen Vertriebene leben. Von den über 2,1 Millionen Menschen, die das Land seit Ausbruch des Krieges verlassen haben, halten sich rund 90 Prozent in der Region auf. 75 Prozent der Flüchtlinge sind Frauen und Kinder.