Zum Auftakt der Syrien-Verhandlungen in Genf sind Regierung und Opposition seit drei Jahren wieder in einem Raum zusammengetroffen. Bei der offiziellen Eröffnung der Gespräche sassen sie sich am Donnerstagabend Auge in Auge gegenüber, aber ohne direkten Kontakt.
UNO-Vermittler Staffan de Mistura appellierte an beide Seiten, diese historische Chance auf Frieden nicht verstreichen zu lassen. Kurz vor dieser vierten Verhandlungsrunde unter UNO-Schirmherrschaft hatte de Mistura gesagt, er rechne nicht mit einem Durchbruch.
Vertreter der Regierung und der Opposition hatten zuletzt bei den gescheiterten Genfer Verhandlungen im Frühjahr 2014 in einem Raum gesessen. Bei den Friedensgesprächen im vergangenen Jahr sprach der UNO-Diplomat nur getrennt mit beiden Seiten, so verhärtet waren die Fronten.
Zuletzt hatten sich beide Seiten im April 2016 zu Friedensgesprächen getroffen. Seitdem hat sich das Kräfteverhältnis zu Ungunsten der Aufständischen verändert: So eroberten die Regierungstruppen von Präsident Baschar al-Assad die nordsyrische Metropole Aleppo zurück.
Bei den Gesprächen in Genf soll es zunächst um einen politischen Übergang gehen. Die Rebellen fordern den Abgang von Assad, was die Regierungsseite aber vehement ablehnt. Beide Seiten werfen sich zudem gegenseitig vor, die im Dezember durch Russland, die Türkei und den Iran vermittelte Waffenruhe wiederholt gebrochen zu haben.
Die syrische Opposition tritt selten geeint auf. Ihre wichtigste Gruppe ist das in der saudiarabischen Hauptstadt Riad ansässige so genannte Hohe Verhandlungskomitee (HNC), in Genf vertreten von Nasr al-Hariri und Mohammad Sabra. Offenbar wegen oppositionsinterner Unstimmigkeiten trafen die Vertreter der Rebellen denn auch verspätet zur Eröffnung am UNO-Sitz ein.
Protestdemonstration vor UNO-Sitz
Mehrere Dutzend in der Schweiz lebende Syrer protestierten am Donnerstagnachmittag auf der Place des Nations vor dem Genfer UNO-Sitz gegen den «Diktator Assad» und dessen Verbündete, den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den iranischen Präsidenten Hassan Ruhani, wie es auf Spruchbändern hiess. Sie forderten auch die Freilassung von Regimegegnern.
Die zersplitterte syrische Opposition kontrolliert Schätzungen zufolge nur noch etwa 13 Prozent des Staatsgebietes. Von der Waffenruhe und den Verhandlungen ausgenommen sind ohnehin dschihadistische Gruppen wie die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).
Aber auch die Kurden sind – vor allem auf Druck der Türkei hin – nicht zu den Verhandlungen in Genf zugelassen. Der russische Aussenminister Sergej Lawrow hingegen hatte erst am Mittwoch wieder deren Beteiligung gefordert.
Rebellen erobern Al-Bab vom IS zurück
Von der türkischen Armee unterstützte Rebellen vermeldeten am Donnerstag nach wochenlanger Belagerung die Einnahme der Stadt Al-Bab vom IS. Auch die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu meldete, die Freie Syrische Armee (FSA) habe mit Unterstützung türkischer Truppen das Stadtzentrum eingenommen.
Die Stadt liegt 30 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Mit der Eroberung weitet die Türkei eine Pufferzone im Norden Syriens aus, von der aus die von ihr unterstützten Kämpfer weiter auf die faktische Hauptstadt des IS in Syrien, Al-Rakka, vorrücken könnten.
Gleichzeitig hofft die Türkei, die Ausbreitung der syrischen Kurdenmiliz YPG an seiner Grenze zu verhindern, die sie als verlängerten Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK betrachtet.
UNICEF appelliert an Unterhändler
Angesichts von zehn Millionen leidenden Kindern in Syrien rief das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF die Teilnehmer der Friedensgespräche in Genf dringend zur Einigung auf. Zwei Millionen Kinder bekämen in Syrien keine dringend nötige Hilfe, sagte UNICEF-Regionaldirektor Geert Cappelaere.
Der Bürgerkrieg in Syrien wütet seit fast sechs Jahren. Begonnen hat er im Frühjahr 2011 im Zuge des so genannten arabischen Frühlings mit Protesten gegen die Langzeitherrschaft des Assad-Clans in Damaskus.
Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International foltert das Assad-Regime systematisch. Und nach Berichten von früheren Beamten lässt Präsident Assad zudem Tausende von oppositionellen Gefängnisinsassen hinrichten oder absichtlich verhungern.
Hälfte der Bevölkerung vertrieben
Nach Schätzungen der UNO wurden seit dem Beginn des Bürgerkrieges bis zu 400’000 Menschen getötet. Rund die Hälfte der gut 20 Millionen Einwohner Syriens wurden zudem vertrieben, mehrere Millionen von ihnen ins Ausland.
Auch die Flüchtlingsströme über die Balkan-Route in die EU sind eine Folge dieses Krieges, in den unterdessen mehrere ausländische Mächte – darunter der Iran, die Türkei und Russland, aber auch die USA, Saudi-Arabien und Katar – eingegriffen haben. Ganze Städte wurden verwüstet – eine davon ist die ehemalige Drei-Millionen-Stadt Aleppo.