Niemand würde einen Familienvater, der in Ohio einen Taifun befürchtet, für verrückt erklären wollen. Warum sollten wir also zu Beginn von „Take Shelter“ nicht gleich denken, wir sind in einem Katastrophenfilm! Doch Filmregisseur Jeff Nichols spielt überaus gerissen mit diesem Genre.
Niemand würde einen Familienvater, der in Ohio einen Taifun befürchtet, für verrückt erklären wollen. Warum sollten wir also zu Beginn von „Take Shelter“ nicht gleich denken, wir sind in einem Katastrophenfilm! Wir richten uns gemütlich darauf ein, dass wir jetzt zwei Stunden einer zerrütteten Familie zuschauen werden, wie sie sich vor herumfliegenden Häuserteilen rettet, gegen blöde Nachbarn kämpft und sich schliesslich auf den Trümmer wieder vereint.
Die surrealen Wolkenbilder, mit denen „Take Shelter“ beginnt, lassen uns schon mal etwas tiefer in die Sitze sinken. Wie bei Botticelli, scheinen die Wolken als Botschafter an den Himmel gemalt: Da braut sich etwas zusammen. Doch bald wird auch klar, dass dieser Gewalts-Taifun, der sich da abzeichnet, ein Ziel hat. Das Haus von Curtis LaForche, dem Einzigen, der den Klimawandel aufmerksam wahrzunehmen scheint in der Kleinstadt. Er bewohnt mit Frau und Kind ein Haus am Stadtrand, fährt täglich zur Arbeit und ist beliebt bei Kollegen, wenn er auch nicht gerade gesprächig ist. Curtis ist einer von der stillen Sorte, wie der oscarnominierte Michael Shannon sie gerne spielt (Revolutionary Road).
Schweres Geschütz
Curtis fährt schweres Gerät. Er wuchtet Bohrlöcher in die Erdkruste. Er baggert gewaltige Gräben frei. Was er anpackt, ist solide. Auch um seine Ehe beneidet man ihn. Selbst sein Kind hat irgendwie Idealmasse. Mit Curtis sehen wir – zu Beginn des Films – der Klimakatastrophe gelassen entgegen.
Allerdings scheint uns Curtis doch etwas all zu beunruhigt. Ist überhaupt was dran an der Taifun-Gefahr? Was Curtis vorerst nur im Kleinen beunruhigt, entwickelt sich bei ihm zu seiner wahren Besessenheit: Er sieht Regen voraus, er ahnt Störungen, er wird von kleinen Ereignissen getroffen, wie massenhaft abstürzenden Vögeln. Bald ist ihm auch der Schlaf geraubt: Schon fängt Curtis heimlich an, seinen Sturm-Bunker ausrüsten. Er kauft Notvorrat, Gasmasken, und vergrössert schliesslich den Schutzraum. Noch sind das Gesten einer vigilen Normalität. Noch sind Curtis Konsultationen bei Ärzten Versuche mit dem Ungeheuerlichen klarzukommen. Noch scheinen seine nächtlichen Panik-Attacken zum Katastrophen-Genre zu gehören.
Aber Regisseur Jeff Nichols spielt gerissen mit dem Genre: Wir sind beruhigt, dass wenigstens einer voraussieht, was bald über uns hereinbrechen wird. Auch wenn Curtis niemandem in seine Ängste mit einbezieht: Blitze aus heiter, hellem Himmel treiben uns auf seine Seite. Auch wenn die Bilder von übernatürlicher Schönheit sind, sie scheinen unserer Katastrophenahnung entliehen. Mal regnet es Schlamm. Mal verdunkeln Vögel in gespenstischen Formationen die Sonne. Oder sie fallen in Massen vom Himmel. Und nur Curtis scheint den Vorgängen Bedeutung beizumessen.
Schweigen als Schwäche
Lange vor der Apokalypse fängt aber die Oberfläche in der Kleinstadt zu bröckeln. Unmerklich zerbricht die Allianz mit Curtis Frau. Der Eigenbrödler gerät unweigerlich ins Gerede. Mit einem Mal ist sein Schweigen seine Schwäche. Erst, als er zu seine Mutter fährt, gewinnt die Geschichte neue Fahrt: Wir merken, dass Curtis mit seiner psychischen Stabilität kämpft: Seine Mutter ist seit Jahren wegen Schizophrenie interniert, nachdem sie die Kinder einfach hatte sitzen lassen. Wir beginnen seine Gefährdungslage zu ahnen. Seine Katastrophenvisionen beginnen sich zu verdichten. Doch unbeirrt geht Curtis seinen Weg, buddelt einen Unterstand für seine Familie. Erst als er auch bei der Arbeit überall Bedrohungslagen sieht, seinen Job verliert, und bei der Gemeindefeier ausrastet, bricht die Kruste auf. Niemand sieht in seiner Arche Noah einen Hauch Vernunft. Wir sind an der Borderline angelangt.
Jetzt sind wir sanft in einen Film über eine psychisch Krankengeschichte geraten. Jetzt sucht Curtis Hilfe bei den Ärzten. Als würde er das Trauma seiner Kindheit, den Zerfall seiner Mutter, an sich selber noch einmal durchleben – und gleichzeitig überwinden wollen, gräbt er sich in seinem Garten ein. Er will seine Familie nicht im Stich lassen. Spätestens jetzt ist der Film auch wieder mehr als eine Krankengeschichte. Jetzt rückt nämlich die Frau von Curtis ins Zentrum, die mit bewundernswertem Langmut die Seite wechselt, ihrem Mann folgt, ja, ihn machen lässt. Jessica Chastain (wir kennen sie schon blendend aus „Tree of Liefe“), die bis hierhin noch zerbrechlich wirkte, gewinnt plötzlich eine neue Kraft. Sie kennt ihren Curtis besser als er glaubt. Sie setzt sich mit ihrer Tochter zu ihm in den Luftschutzkeller. Sie geht mit ihm durch die Hölle, und siehe da: Der Bunker schützt. Der Sturm zieht über sie hinweg. Alles kehrt wieder zurück zu Normalität. War jetzt alles nur Einbildung?
Wie in einem Epilog fährt die Familie ans Meer. Mutter, Vater, Kind. Was weit von zu Hause wie eine Erlösung erscheint, wird nun plötzlich Wirklichkeit. Wirklichkeit? Noch einmal entlässt uns der Film in ein neues Genre. Grossartig.