Die Führung in Moskau holt die ersten der 224 Toten der Flugzeugkatastrophe nach Hause. Mit Hochdruck suchen Experten nach der Ursache für den Absturz in Ägypten. War es defekte Technik – oder doch ein Anschlag?
Die russische Fluggesellschaft hat eine technische Störung und einen Pilotenfehler «völlig ausgeschlossen». Die Katastrophe sei durch «mechanische Einwirkung» erfolgt, sagte Kolavia-Vizechef Alexander Smirnow am Montag in Moskau.
Smirnow liess offen, ob es sich um einen Terroranschlag gehandelt haben könnte. «Es kann alles gewesen sein», erklärte er. Der Absturz des Airbus A-321 voller Urlauber auf dem Weg von Scharm el Scheich nach St. Petersburg ist das schwerste Unglück in der Geschichte der russischen Luftfahrt.
Der Leiter der russischen Luftfahrbehörde, Alexander Neradko, warf am Montag der Airline vor, voreilig von einer «äusseren Ursache» gesprochen zu haben. «Dies stützt sich auf keine realen Fakten», kritisierte er.
Auf einem streng abgeschirmten Areal der Gerichtsmedizin in St. Petersburg begann unterdessen die Identifizierung der Opfer. Ein erstes Flugzeug des russischen Katastrophenschutzes brachte die sterblichen Überreste von etwa 140 Passagieren aus Kairo in die nordrussische Stadt. Mit Spezialtransportern wurden die Leichen zur Forensik gefahren.
Die Überreste werden mit Hilfe von DNA-Proben identifiziert und dann den Hinterbliebenen übergeben. «Psychiater werden anwesend sein», sagte Vizegouverneur Igor Albin. Er sprach von einer «komplexen, akribischen» Arbeit. Ein zweites Flugzeug vom Typ Iljuschin Il-76 sollte am Abend in Kairo losfliegen.
Kreml schliesst keine Version aus
Ermittler aus Ägypten und Russland suchen weiter nach der Ursache der Katastrophe. Einer Moskauer Untersuchungskommission zufolge soll die Maschine noch in der Luft zerbrochen sein. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte am Montag, die russische Regierung schliesse keine Version aus – «vom Terrorakt bis zum Unfall». Gleichzeitig warnte er vor Spekulationen.
Der Chef des russischen Luftfahrtamtes Alexander Neradko sagte, der Flugschreiber und der Stimmenrekorder (die «black boxes») der Unglücksmaschine würden in Kairo ausgewertet.
Ein Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hatte in einem nicht verifizierbaren Bekennerschreiben behauptet, die Maschine am Samstag über der Sinai-Halbinsel zum Absturz gebracht zu haben. Experten und Regierungsangehörige Russlands und Ägyptens bezeichneten dies aber als unwahrscheinlich oder schlossen einen Anschlag aus. Experten halten es für möglich, dass Russland durch seine Luftangriffe in Syrien stärker ins Visier des IS geraten sein könnte.
Das Flugzeug wurde nach Angaben aus Ermittlerkreisen nicht von aussen getroffen. Dies sagte ein Insider am Montag.
«Sie flog nicht, sie fiel»
Kolavia-Mitarbeiter Viktor Jung sagte, die Gesellschaft schliesse einen Fehler der Crew und eine technische Störung aus. Weder Risse noch ein Ausfall der Systeme oder schlechter Treibstoff hätten das Unglück auslösen können. Nach Beginn der Katastrophe konnte die Maschine nicht mehr gesteuert werden. «Sie flog nicht, sie fiel», sagte Jung in Moskau.
Die Crew habe keinen Notruf abgesetzt, sagte Smirnow. «Offenbar war die Mannschaft zum Zeitpunkt der Katastrophe bereits vollständig arbeitsunfähig», sagte er. Der Airbus A-321 habe innerhalb von weniger als einer Minute massiv an Geschwindigkeit verloren und sei stark abgesackt. «Sie flog nur noch etwa 300 Stundenkilometer schnell und fiel um rund 1500 Meter ab», sagte der Kolavia-Vizechef.
Ägyptische Rettungskräfte setzten an der Absturzstelle die Suche nach sterblichen Überresten fort. 41 Opfer seien bislang nicht geborgen worden, hiess es. Russische Experten waren an der Suche beteiligt.