Sechs Wochen nach seiner Festnahme in Brüssel ist der wohl einzige überlebende mutmassliche Paris-Attentäter an Frankreich ausgeliefert worden. Belgien übergab Salah Abdeslam am Mittwoch den französischen Behörden.
Diese beschuldigten ihn offiziell wegen Mordes in Zusammenhang mit einer terroristischen Unternehmung und leiteten ein Ermittlungsverfahren ein. Der 26-jährige Islamist war am Morgen bewacht von einer Spezialeinheit per Flugzeug nach Paris gebracht worden.
Im Justizpalast wurde Abdeslam einem auf Terrorismus spezialisierten Richter vorgeführt. Dabei habe er angekündigt, «später auszusagen», sagte sein Anwalt Frank Berton. Ein erster Termin für eine ausführliche Anhörung sei für den 20. Mai angesetzt worden.
Aus dem Justizpalast wurde Abdeslam seinem Anwalt zufolge ins Gefängnis Fleury-Mérogis südlich von Paris gebracht und dort in Untersuchungshaft genommen. Laut Justizminister Jean-Jacques Urvoas erwartet ihn dort in einem Spezialtrakt Isolationshaft unter schärfster Bewachung. In dem Gefängnis, eines der grössten in Europa, sind derzeit mehr als 4400 Menschen inhaftiert.
Ganzen Reihe von Vorwürfen
Ermittelt wird gegen Abdeslam wegen einer ganzen Reihe von Vorwürfen, wie die Pariser Staatsanwaltschaft am Abend mitteilte: Neben Mord und versuchtem Mord im Zusammenhang mit einer terroristischen Unternehmung geht es unter anderem um Freiheitsberaubung – wegen des Angriffs auf die Pariser Konzerthalle Bataclan – sowie um Besitz von Sprengstoff und Waffen.
Abdeslams Bruder Brahim hatte sich am 13. November in die Luft gesprengt, Salah selbst hatte Autos und Verstecke für die Paris-Attentäter gemietet und Material für Sprengsätze gekauft. In der Terror-Nacht mit 130 Todesopfern soll er drei Selbstmordattentäter zur Fussballarena Stade de France gefahren haben, wo Frankreich gegen Deutschland spielte.
Womöglich sollte sich der 26-Jährige auch selbst in die Luft sprengen – eine später in einem Pariser Vorort gefundene Sprengstoffweste wurde ihm zugeordnet. Nach seiner Festnahme sagte er den Ermittlern, er habe sich am Angriff auf das Stade de France beteiligen wollen, dann aber einen Rückzieher gemacht. Warum, ist unklar.
Unbehelligt Polizeikontrolle passiert
Am Tag nach den Anschlägen konnte Abdeslam aus Paris fliehen: Komplizen fuhren ihn zurück nach Brüssel, dabei passierte er unbehelligt eine Polizeikontrolle. Erst nach vier Monaten Fahndung wurde der meistgesuchte Mann Europas dann am 18. März bei einer Razzia im Brüsseler Viertel Molenbeek angeschossen und festgenommen.
Von den Planungen zu den Anschlägen in Brüssel vier Tage nach seiner Festnahme will Abdeslam nichts gewusst haben. Allerdings fanden die belgischen Ermittler Verbindungen zwischen ihm und den Selbstmordattentätern, die am 22. März in der belgischen Hauptstadt 32 Menschen mit in den Tod rissen.
So wurde er im September zusammen mit dem Brüssel-Attentäter Najim Laachraoui an der österreichisch-ungarischen Grenze in einem Auto kontrolliert. Am 3. Oktober holte er in Ulm einen Mann ab, der im Zusammenhang mit den Anschlägen von Paris und Brüssel beschuldigt ist.
Anwalt bezeichnet ihn als «kleinen Vollidioten»
Abdeslams belgischer Anwalt Sven Mary bezeichnete den in Brüssel geborenen Franzosen als «kleinen Vollidioten». Abdeslam entstamme der Kleinkriminalität, sei eher Mitläufer als Anführer, zitierte die Zeitung «Libération» den Anwalt: «Er hat die Intelligenz eines leeren Aschenbechers und ist von einer abgrundtiefen Leere.»
Die Opferanwältin Samia Maktouf sagte, sie erwarte keine «wirkliche Zusammenarbeit» des Islamisten mit den Behörden. Sie hoffe aber, dass die Verhöre «neue Elemente bringen, um Anwerber und Finanzierer» der für die Anschläge verantwortlichen Islamistenzelle zu identifizieren.