Tessin sagt als erster Kanton Ja zu Verhüllungsverbot in Verfassung

Als erster Kanton der Schweiz will das Tessin das Tragen von Gesichtsschleiern in der Öffentlichkeit verbieten. Das Stimmvolk hat einer Initiative für ein Verhüllungsverbot in der Verfassung mit 65,4 Prozent klar zugestimmt.

Initiant Giorgio Ghiringhelli kann einen Erfolg verbuchen (Archiv) (Bild: sda)

Als erster Kanton der Schweiz will das Tessin das Tragen von Gesichtsschleiern in der Öffentlichkeit verbieten. Das Stimmvolk hat einer Initiative für ein Verhüllungsverbot in der Verfassung mit 65,4 Prozent klar zugestimmt.

63’494 Stimmberechtigte sagten Ja, 32’377 lehnten das Volksbegehren des politischen Einzelkämpfers Giorgio Ghiringhelli der Bürgerpartei «Il Guastafeste» ab. Der Gegenvorschlag von Regierung und Parlament fand zwar auch eine Mehrheit von 59,83 Prozent (58’085 Ja zu 33’783 Nein), unterlag aber in der Stichfrage der Initiative. Die Stimmbeteiligung lag bei 46,03 Prozent.

Frauen soll es damit im Tessin in Zukunft verboten sein, in Burka (Ganzkörperschleier) oder Niqab (Gesichtsschleier) auf die Strasse zu gehen. Der Kanton folgt damit den Verhüllungsverboten , wie sie in Frankreich und Belgien gelten. Konkrete Folgen hat dies kaum: Vollständig verschleierte Frauen sind im Tessin so gut wie nie zu sehen.

Der Initiativtext, der in die Verfassung integriert werden soll, spricht allerdings nicht explizit von Burka und Niqab. Allgemein verweist er darauf, dass das Verhüllen oder Verbergen des Gesichts auf öffentlichen Strassen, Plätzen und in öffentlichen Verkehrsmitteln untersagt sei. Religiöse Einrichtungen werden davon ausgenommen.

Zudem soll niemand eine andere Person aufgrund ihres Geschlechts dazu zwingen, ihr Gesicht zu verhüllen. Inwieweit Ausnahmen definiert werden – beispielsweise bei Schutzkleidung – soll gesondert in einem Gesetz festgelegt werden. Dass sich die Initiative aber gezielt gegen religiöse Verschleierungen richtet, machte Ghiringhelli in seiner Kampagne von Beginn an deutlich.

Beispiel soll Schule machen

Der Initiant sprach am Sonntag von einer historischen Abstimmung. Er hoffe, dass das Tessiner Beispiel in der Schweiz und im Ausland Schule mache, schrieb er in einem Communiqué. Ghiringhelli zeigte sich froh, dass das Thema nun auch wieder im Bundesparlament behandelt werde. Die Verfassungsänderung muss noch durch die eidgenössischen Räte genehmigt werden.

Zuletzt hatte sich der Ständerat mit dem Thema im Jahr 2012 beschäftigt. Eine Motion für ein schweizweites Burkaverbot in Zügen wurde abgelehnt. Auch in den Kantonen hatten Burka- oder Kopftuchverbote bisher keine Chance. In der Vergangenheit lehnten Basel-Stadt, Bern, Schwyz und Solothurn solche Verbote ab.

In der Schweiz würden sich nur rund 100 bis 150 Frauen vollständig verschleiern, schätzte die ständerätliche Kommission damals. Im Tessin sind es gemäss Kanton nur Einzelfälle, in der Regel Touristinnen.

Bundesrat Maurer nicht überrascht

Zur Tessiner Abstimmung äusserte sich auch Bundespräsident Ueli Maurer. Das Resultat überrasche «nicht wirklich», es drücke ein «gewisses Unbehagen» in der Bevölkerung aus, sagte Maurer auf eine Journalistenfrage. Er verglich die Situation mit jener vor der Annahme der Anti-Minarett-Initiative. Nötig sei die verstärkte Integration der Ausländer, sagte der Bundesrat.

Amnesty International zeigt sich konsterniert über das Verhüllungsverbot. «Dies ist ein trauriger Tag für die Menschenrechte im Tessin», kommentierte die Schweizer Sektion. Die Annahme der Initiative widerspreche dem Recht zur freien Meinungsäusserung und sei ein beunruhigendes Signal für Intoleranz.

Der Islamische Zentralrat Schweiz (IZRS) nimmt das Tessiner Votum gemäss Communiqué mit grossem Bedauern zur Kenntnis und warnt vor einer «Islamophobisierung der Schweiz» von unten.

Keine Privatisierung von Sicherheitspersonal

Zudem wird im Tessin die Beaufsichtigung von Personen in Administrativhaft – meist Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung – auch in Zukunft nicht an private Sicherheitsdiensten delegiert. Das Stimmvolk lehnte mit 49’274 Nein zu 35’565 Ja-Stimmen eine entsprechende Gesetzesänderung ab.

Die Regierung wollte mit der Vorlage eine Ausnahmeregelung für einen unerwartet starken Zustrom von Flüchtlingen schaffen. Mitarbeiter privater Sicherheitsagenturen wären sowohl in als auch ausserhalb von Gefängnissen eingesetzt worden. Die Gewerkschaften ergriffen dagegen das Referendum.

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