Der Tessiner Dichter und Literaturkritiker Giorgio Orelli ist tot. Er starb am Sonntag im Alter von 92 Jahren, wie Angehörige dem Tessiner Radio und Fernsehen RSI mitteilten. Orelli galt als einer der wichtigsten italienischsprachigen Poeten der Nachkriegszeit.
Der Tessiner Staatsrat Manuele Bertoli würdigte ihn auf Anfrage als einen «der grossen Namen der italienischsprachigen Literatur». Mit seiner Poesie habe Orelli der Welt die tiefsitzenden Gefühle seiner Heimat vermittelt, sagte der Tessiner Kulturdirektor.
Orellis Werk «zeigte die Verbundenheit mit unseren Traditionen und bewies unsere Fähigkeit, uns zu öffnen». Der Dichter werde «immer in lebhafter und wunderbarer Erinnerung bleiben.» In seinem Kommentar, den Bertoli auch auf Facebook publizierte, verabschiedete er den Schriftsteller «sehr bewegt und mit grosser Anerkennung.»
Orelli verbrachte sein Leben überwiegend im Tessin. Er sei oft unterwegs, «aber es ist ein bescheidenes Unterwegssein – ein ruhiges Unterwegssein – nicht mit dem Flugzeug, dem Helikopter, dem Schiff. Darin bin ich ein Bergler – es zieht mich nicht in die Ferne und ich habe Flugangst», sagte er kurz vor seinem 80. Geburtstag 2001.
Wichtigster Schweizer Literaturpreis
Orelli, 1921 in Airolo geboren, war bereits als junger Dichter im italienischen Sprachraum bekannt geworden. Er schrieb Gedichte und Erzählungen und machte sich als Übersetzer insbesondere von Goethe-Werken einen Namen. Später setzte er seine Auseinandersetzung mit Sprache auch als Literaturkritiker fort.
Ausserdem arbeitete er als Lehrer für italienische Literatur unter anderem am Gymnasium von Bellinzona. 1988 erhielt er nach vielen Ehrungen in der Schweiz und in Italien auch die damals wichtigste Schweizer Literaturauszeichnung, den Grossen Schillerpreis. Zu seinen Werken zählen etwa die Romane «Monopoly» und «Walaceks Traum».
Auf Deutsch erschien zuletzt im Frühling 2013 im Limmat-Verlag Orellis Prosatext «Ein Tag unseres Lebens», der auf Italienisch unter dem Titel «Un giorno della vita» 1960 publiziert worden war.
Schriftsteller bis ins sehr hohe Alter
Noch im Alter von 90 Jahren war Orelli schriftstellerisch tätig. Er arbeitete damals an dem autobiografischen Text «Suite in la con gli anni» – und benutzte dabei eine seiner vier alten Schreibmaschinen. Computer und Internet seien ihm fremd geblieben, sagte er 2011 in einem Interview des Informationsportals swissinfo.ch.
Auf Ranglisten und Auszeichnungen gab der Tessiner Autor nicht sonderlich viel. «Ruhm und Ehre gehen vorbei wie Wolken am Himmel», sagte er, wobei er sich über die Beachtung, die seine Werke erfuhren, durchaus freute. Am Wichtigsten sei ihm die Fähigkeit, die eigenen, inneren Gedanken nach aussen zu tragen, erklärte er.