The Amazing Spiderman

Schon wieder? Oder: endlich? «The Amazing Spider-Man» wartet mit vielen bekannten Geschichten auf: Gerade deshalb sollte man ihn sich nicht entgehen lassen: Es erspart einem zehn weitere Action Filme. Es gibt eine Handvoll Geschichten und Filmplots, die wir in Variationen immer wieder von Neuem sehen, manchmal auch in neuen Kombinationen. «The Amazing Spider-Man» strebt nun […]

Schon wieder? Oder: endlich? «The Amazing Spider-Man» wartet mit vielen bekannten Geschichten auf: Gerade deshalb sollte man ihn sich nicht entgehen lassen: Es erspart einem zehn weitere Action Filme.

Es gibt eine Handvoll Geschichten und Filmplots, die wir in Variationen immer wieder von Neuem sehen, manchmal auch in neuen Kombinationen. «The Amazing Spider-Man» strebt nun nach einem neuen Rekord. Fast alle Plots wurden in einem Film untergebracht. Das erspart uns nicht nur all die anderen Filme, die demnächst auf uns zu kommen, die sich mit nur einem Plot begnügen. Das macht den Film überraschend – vielseitig.

Muss nur noch kurz die Welt retten

Der Mensch erzählt seit Jahrhunderten immer die selben Geschichten. Ein gern gesehenes Muster im Plot-Business ist seit den Griechen die Weltrettung. Oft drohen Untergang, Bösewichte, Zerstörung durch Ausserirdische oder Naturgewalt. Da ist der Bedarf an Helden gross: Interessant sind dann ganz gewöhnliche Menschen, die über sich hinauswachsen, um die Welt vor dem Bösen zu bewahren. In «The Amazing Spider-Man» besteht die Welt zwar nur aus New York. Aber eben, aus einem für die restliche Welt repräsentativen Querschnitt.

 

7 wiederkehrenden Plots

Einer wächst über sich hinaus und rettet die Welt «The War of the World»

2 Das Monster dreht durch

Immer gern gesehen sind die Kino-Geschichten, in denen menschliches Bemühen sich ins Gegenteil verkehrt: Ein Virus büchst aus, ein Monster läuft aus dem Ruder etc.. Besonders schweisstreibend  wirken von Menschen geschaffenen Ungeheuer, wie der provozierte Affe im «King Kong», oder das ausser Kontrolle geratene Menschen-Experiment in «Frankenstein».

«The Amazing Spider-Man» trägt jetzt eine elektrische Frankenstein Variante bei. Erst wird der Nobody von Spiderman gerettet, dann fühlt er sich versetzt und verwandelt sich als personifizierte schiefgelaufene Energiewende in ein extrem energiehaltiges «Elektro»-Monster. Bis Spiderman den Stecker zieht.

 

Vom Menschen geschaffenes Unheil: Das Monster wird zur Gefahr, hier in: «I, Frankenstein»

3 Die Heldin der Liebe

Seit Ödipus haben es Helden schwer mit der Liebe. Orpheus darf seine Eurydike nicht sehen. Hamlet darf seiner Ophelia nicht trauen, weil sie möglicherweise eine Mitwisserin des Vatermordes ist.

Auch Spiderman hat in «The Amazing Spider-Man» mit seiner Liebe ein Problem: Sein Vater hat ihm eine düstere Prophezeiung mit auf den Weg gegeben. Er soll seine Geliebte nicht in seinen Kampf mit einzubeziehen. Die Geliebte Gwen (Emma Stone) arbeitet zudem ausgerechnet in dem Konzern, von dem die böse Gefahr ausgeht.

Die Angst vor dem anderen – auch in der Liebe, hier in: «King Kong»

4 Der Spinnefeind

Immer ein schöner Anlass für eine Geschichte bietet der arglistige Bösewicht. Er tritt beim Spinnenmann zwar mit dem sterbenden Konzernoberst Norman Osborn (Chris Cooper) gleich zu Beginn ab. Aber auf ihn folgt sogleich sein Sohn, der noch perfidere Thronfolger, der auch noch ein Alter Kumpel von Peter ist.

Dieser rachsüchtige Erbe erhält zu Beginn von «The Amazing Spider-Man» eine Prophezeiung, die, etwas komplexer, an jene für den ungekrönten Macbeth von Shakespeare erinnert: Er darf der König sein, wenn es ihm gelingt, sich das Blut des Spinnenfeindes einzuverleiben.

Bühne frei für den Bösewicht, hier Al Pacino in: «Scarface»

5 Die Helden- Prüfungen

Seit Herkules gehören Herkules-Aufgaben zu den Lieblingsplots. Helden werden vor Aufgaben gestellt. Die Aufgaben werden immer schwieriger. Die Geschichte immer spannender.

In «The Amazing Spider-Man» wird der Held vor ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an Prüfungen gestellt, in denen er Notleidenden zu Hilfe eilen kann. Naturgemäss werden die Aufgaben immer heikler und die Lösungen immer aussichtsloser.

 

Die unzähligen Prüfungen der Helden, hier in: «Star Wars» gegenübergestellt der «Hidden Fortress» von Kurosawa

6 Die Wiederkehr des Erlösers

Halbgötter oder Götter unter Menschen geben immer wieder Anlass zu hübschen Verwandlungen. Immer gern gesehen ist der Frosch, der sich durch einen Kuss in einen Prinzen verwandelt.

In «The Amazing Spider-Man» lebt Peter Parker eine Doppelexistenz: Er hat in seiner Geschichte eine genetische Spinnen-Ausrüstung erhalten, die ihm erlaubt ganz nach Spinnenart zu kämpfen. Er muss aber auch mit der anderen Existenz leben: Seine Eltern stehen unter dem Verdacht, Verräter zu sein. Er hat mit ihnen nur noch Kontakt über das Jenseits (in das er im Film dann auch eindringt, als er Vaters heimlichen Datenspeicher betritt). Als Peter, entgegen dem Rat seines Vaters aus dem Jenseits versucht, seine Gwen in den Kampf einzubeziehen, wird das schwierig, und kostet ihn seine Liebe. Erst danach findet Peter zu seiner höheren Aufgabe zurück: Die Liebe nicht zu geniessen, sondern sie unter den Menschen zu verbreiten.

 

Das Doppelleben als Halbgott, hier in: «Son of God»

7 Die Reise und Heimkehr

Seit Odysseus haben Helden eine Reihe von Aufgaben zu bestehen: Hamlet muss ein Verbrechen aufklären, von dem der Geist seines Vaters ihm erzählt. Er darf seiner Liebe nichts verraten. Er muss im Exil dem Mordanschlag entkommen. Auch Spiderman kehrt wieder zurück in den Kampf. Erst, nachdem er Vaters Geheimnis gelüftet (und dessen Rat, der Liebe fernzubleiben, befolgt) hat, kann er den Kampf aufnehmen, gegen ein anderes, böses Vaterbild: Dabei bleibt er anonym, aber dennoch der bekannteste Erlöser New Yorks.

Die Helden lösen Aufgaben, hier in «The Legend Begin

Das Aufbegehren der Aussenseiter

Sehr beliebt sind die Helden, die von unten kommen: Auch Peter Parker ist einer von ihnen. Als der Ziehsohn der Krankenschwester, besitzt er zwar eine geheime Kraft: Das Genie muss aber seine genialen Gene geheim halten. Und noch etwas macht ihn zu einem von nebenan. Peter Parker hat – in dieser neuen Version – auch gewöhnliche Probleme. Mit Zimmeraufräumen. Mit Wäschewaschen. Er ist darüber hinaus ein Zweifler, ein Zauderer, ein Jugendlicher ganz und gar, der zwar zum Helden geboren ist, aber davon träumt ganz normal sein zu dürfen. Wie jeder Jugendliche, der etwas besonderes ist ..

Noch in zwei Dimensionen und gezeichnet: «Spider-Man», 1981

«The Amazing Spider-Man 2» von Marc Webb enthält alle 7 wichtigen Plots der Menschheit. Dass das nicht überladen wirkt, hat auch mit Andrew Garfields Darstellung des Peter Parker zu tun. Er ist nicht mehr der nette, schüchterne Junge von nebenan, wie ihn Tobey Maguire gespielt hat. Er ist eine Zweifler, ein Geplagter, ein Sohn, der unter dem traumatischen Verlust der Eltern auch als Heranwachsender noch leidet. Er ist mehr Held der philosophischen Praxis.

Nicht zufällig ähnelt «The Amazing Spider-Man 2» einem Stoff der Weltliteratur, der ebenfalls gleich mehrere Plots unter einen Hut bringt: Hamlet. Dieser Spiderman ist streckenweise eher ein Dänenprinz als ein Superman: Die familiäre Hintergrundgeschichte ist ähnlich: Peter nimmt Kontakt mit dem Geist seines Vaters auf (den nachgelassenen Forschungsergebnissen). Er geht auf den Rachefeldzug gegen die Vätergeneration. Er spielt mit der Ziehmutter Katz und Maus. Seine Liebe ist ein stetes Zaudern. Die Leidenschaft endet tragisch.  Nur dass Spiderman am Schluss sein Leben nicht – wie Hamlet – verliert. Kein Wunder: Er führt ja – nicht wie Hamlet – ein erfolgreiches Doppelleben.

Regisseur Marc Webb gibt in seiner Interpretation dem Familiären weit mehr Raum. Andrew Garfield erlaubt als Hauptdarsteller dem Spinnenmann ein hohes Maß an Verletzlichkeit. Sogar der Gegenpart und Ex-Kumpel Harry Osborn (Dane DeHaan ) gewinnt menschliche Züge, wenn auch als Bösewicht.

Als der Fadenwerfer zum Schluss sein Doppelleben gleich zweimal riskiert, sowohl als Peter Parker als auch als Spiderman, verliert er doch das Liebesleben. Darauf muss er in Zukunft verzichten. Auf jenen Teil allerdings nicht, den er mit uns teilt. Der bleibt uns erhalten. Er verbrietet weiterhin die Liebe unter den New Yorkern. Und die stehen auch in «The Amazing Spider-Man 2» stellvertretend für uns alle. Warum eigentlich?

Nächster Artikel