Als wäre es eine Nahaufnahme aus Syrien: Mitten in all dem Wegschauen wagt einer hinzuschauen: Was Atiq Rahimi einfängt ist eine Antwort auf heilige Krieger. Eine Frau wagt es, eine sexuelle Identität zu haben.
Erzähl dein Leid einem Stein. Er wird dich nicht verurteilen. Er wird dir zuhören. Eines Tage wird es den Stein zersprengen und all deine Sorgen werden verschwunden sein. Der «Stone of Patience» kann dir das Leben retten. Die junge Frau in Atiq Rahimis «Stone of Patience» tut genau das, was ihre Grossmutter ihr geraten hat. Sie erzählt ihr Leide einem Stein – ihrem Mann.
Atiq Rahimi ist einer der wenigen Botschafter aus dem geschundenen Afghanistan, der noch so etwas wie eine Analyse wagt der unfassbaren Greuel, die heilige und unheilige Krieger seit Jahren verbreiten. Der Schriftsteller, der in Frankreich bereits für seinen Roman mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde, legt nun einen kompromisslos literarischen Film vor: Rahimi hat sich mit einem der grossen Drehbuchschreiber der Filmgeschichte zusammengetan, um seinen Roman der Leinwand anzuvertrauen: Jean-Claude Carrière.
Jetzt flüstert dieses Buch als Film seine Botschaftin die dunkeln Kinosääle: In leisen Bildern, in langsam fliessenden, manchmal gar, um der Sache Willen, stockenden Worten. Der Film wirft ein Licht auf jene Greuel, die religiöse Verblendung und grenzenlose Bewaffnung überall in der Welt anrichten. Rahimi hat sich, als Cinéast wie als Schriftrsteller, auf seine einfache Parabel verlassen.
Der Gotteskrieger hört nur im Koma seiner jungen Frau zu. Er kann weder sprechen noch sich bewegen. Selbst mit seinem Atem kann er sich nicht verständlich machen. Wie ein Stein liegt er da, und muss sich anhören, was seine Frau ihm zu sagen hat. Während draussen der Krieg tobt, vollbringt die junge Frau in ihrem Versteck eine Heldentat nach der anderen.
Sie ernährt ihre Kinder. Sie beschafft Medizin für Ihren Mann. Sie überlistet die Soldaten. Sie betet. Sie ehrt ihren Mann. Sie ist eine Heldin. Die eigentlichen Heldentaten dieser jungen Frau aber liegen im Mut ihrer Erzählungen. Ganz langsam öffnet sie den Vorhang über den Greueln, die sich über sich hatte ergehen lasssen müssen. Wort um Wort arbeitet sie sich zur Befreiung von der Last vor, die ihr Mann mit aller sexuellen Unterdrückung ihr auf die Schulter bürdete.
Als alles nichts mehr hilft, sucht sie die Unterstützung der einzigen Verwandten in der Umgebung, die ihr jetzt noch helfen kann: Ihre Tante, die als Kurtisane arbeitet. Sie arbeite Sure um Sure die fundamentalistische Sexualfeindlichkeit ab, tastet sich mit einem Fremden, dem stotternden Soldaten, wieder zurück in die Sprache der Liebe. Keinen Kämpfer, keinen Kriegshelden, sondern einen stammelnden Jüngling findet sie zum Liebesspiel, bis es zum Schluss – wir ahnten es, als die Tante ihr vom Tod ihres Gatten erzählte – zum letzten Akt der Befreiung kommt. Der Stein der Geduld zerbricht.
Es ist ein Schrei, der da mitten aus den Kriegswirren zarten, literarisch Trost spendet: Diese Frau, die dem Irrsinn der religiös verblendeten Männerwelt, ihre Suche nach Sinnlichkeit und Sinn entgegensetzt, formuliert in ihrer Erzählung ein langsam dahinfliessendes Gedicht. Wie sie all die Details ihres Leidenswegs ihrem reglosen Mann erzählt ist mehr als eine Metapher. Nur die Todesstarre kann einen religiösen Fanatiker zum Zuhören bewegen.
«Wer keine Liebe machen kann, muss Krieg führen», ist die Quintessenz, die die junge Schönheit wie eine Überschrift über den Kriegsirrsinn der Männer setzt. Sie setzt der Gewalt genau diese Sehnsucht entgegen: Ihre Suche, wie denn Liebe zu machen sei, macht klar, welch ein gewaltiger Befreiungskampf der Frauenwelt in jenen Ländern noch bevorsteht, ehe sie den Satz des Propheten umkehren kann: «Wer keine Kriege braucht, kann die Liebe ernten.»