Theaterfestival: Au revoir!

Die Gaukler ziehen weiter. Die Koffer sind gepackt. Die Feuerstellen ausgemacht. Die Lichter sind erloschen. Der Kasernen-Platz ist wieder stiller geworden. Aus fernen Landen haben wir Kunde anderer Weltsichten erhalten. Jetzt schmoren wir wieder in der eigenen. Noch ist der freie Durchblick auf den Rhein verbaut. Ein Fazit? Die Gaukler ziehen weiter. Die Koffer sind […]

Blind Summit Theatre

Die Gaukler ziehen weiter. Die Koffer sind gepackt. Die Feuerstellen ausgemacht. Die Lichter sind erloschen. Der Kasernen-Platz ist wieder stiller geworden. Aus fernen Landen haben wir Kunde anderer Weltsichten erhalten. Jetzt schmoren wir wieder in der eigenen. Noch ist der freie Durchblick auf den Rhein verbaut. Ein Fazit?

Die Gaukler ziehen weiter. Die Koffer sind gepackt. Die Feuerstellen ausgemacht. Die Lichter sind erloschen. Der Kasernen-Platz ist wieder stiller geworden. Aus fernen Landen haben wir Kunde anderer Weltsichten erhalten. Jetzt schmoren wir wieder in der eigenen. Noch ist der freie Durchblick auf den Rhein verbaut. Ein Fazit? 

Die Tanzgemeinde durfte, nachdem «Basel Tanzt» in diesem Jahr liquidiert wurde, würdige Vertreter an diesem Theater-Festival erwarten. Die sind eingetroffen: Die Spannweite von Forsythe bis Maliphant öffnete einen Blick auf die bewährte Avantgarde. Compagnie 111 setzte den Blick in die Theaterformen fort: Das Körpertheater ist zurück. Es liegt auf der Hand, dass gerade dort die interessantesten Entwicklungen zu verzeichnen sind, wo die Sprache erschwerend gilt – im grenzüberschreitenden Verkehr. Der Trend ist weiterhin ungebrochen. Die Theater suchen nach anderen Sprachen als den gesprochenen. 

Gegen den Trend und gerade deshalb als Höhepunkt ragt ein Sprachkunstwerk in selten gewordener «Mission»aus dem Festivalprogramm heraus: David Von Reybrouck berichtet auf seine Weise aus dem afrikanischen Kontinent. Schonungslos, verstörend und radikal auf Sprache gesetzt, legt er Zeugnis ab von seiner Arbeit als Missionar im Kongo. Fern von Henning Mankells Sentimentalität, getrieben vom Scharfblick eines «Machine Gun Preachers» nimmt er auf seine Weise Stellung zu den verheerenden Gottes-Kriegen.

Swingend schwimmt Brett Bailey auf Pop-Modewellen. Er greift die Geschichte der dunkelhäutigen Frau vom Schwarzen Meer auf, die die weissen Griechen einst in ihre Sagenwelt woben. Medeas Irrtum beginnt schon in den Anfängen. Sie entscheidet – aus Liebe  für den Fremden – den Krieg der fremden Armee gegen die eigenen Leute. Sie bringt ihren Bruder um. Sie verlässt ihr Königreich. Sie zieht mit dem Sieger mit, heiratet ihn, und ermordet schliesslich seine Kinder, als er sie – um in der Fremde mehr Macht zu gewinnen – für die Königstochter verlässt. 

Brett Baley mag erkannt haben was für ein ungeheure Verwandtschaft der Stoff mit Südfrikas Jetztzeit hat: Noch sind die Greuel der Apartheid dort nicht wirklich aufgearbeitet. Schon lässt die schwarze Regierung die eigenen Leute, die im Bergarbeiterstreik von der Polizei erschossen wurden, des Mordes anklagen. Die Greueltat, mit der die verzweifelte Mutter sich rächt, lässt stellvertretend ahnen, welche Wunden im Land noch nicht vernarbt sind. 

Gern lassen wir uns auch von den drei Erzählerinnen im Chor swingend durch die Episoden der Medeia peitschen. Wir folgen dem Fluss der Erzählung in ihren Tanzschritten ebenso wie in ihren sprachlichen Staccati vor dem Groove des Schlagzeugers Frank Paco, während die gewaltige Urmutter Medea kaum zu ihrer Geschichte findet: Auf die Mikroverstärkung wäre sie auf nicht angewiesen. Eher auf etwas weniger Kunstmüll rundum. 

Insgesamt wirkt, was da für urbane Künstlichkeit stehen soll, letztlich schon deshalb abgestanden, weil es so trendy sein will. Kunst-Objekte spiegeln eher die Globalisierungs-Tendenzen in der Theaterlandschaft als urbane Wirklichkeit am Ende des anderen Kontinents: Brett Baley, hochgeschult in Amsterdam,  fand seine europäische Medea in Südafrika,  entführte sie, und brachte sie zurück nach Europa. Hier passt sie auch hin. Mitten in den Kunstrummel. Nach Südafrika wären wir dafür nicht gefahren. 

Ganz anders das «Neue Theater» aus Riga. Dort hat Alvis Hermanis eine eigene Sprache entwickelt, eine verspielte Poetik. Wie viel man sagen kann, ohne ein einziges Wort, darf man drei Stunden geniessen. Zu Musik, deren Fan wir nie waren, aber deren Klang uns immer noch im Ohr wurmt: Simon und Garfunkel, die Kitsch-Meister, schweben über all den scheuen Menschen, die in der grossen alten Rigaer Wohn- und Notgemeinschaft in ihrem intimsten Scheitern noch liebenswürdig bleiben. 

Es fühlt sich an, als wären diese skurillen Wesen zurückgekehrt, an den Ort, wo Marthaler einst ähnliche Geschöpfe in die Welt gesandt hat. Sie kommen sie aus den fernen Achtundsechzigerjahren: Aussenseiter brillieren mit Kabinettstückchen. Verlorene Paare tanzen durch die Trümmer ihrer Hoffnungen. So verliebt in Schauspieler muss dieser Regisseur sein, dass er sie drei Stunden ihre Erfindungen ausreizen lässt. Allein die sieben Formen des Geschlechtsverkehrs, die wir sehen dürfen, übertreffen sich gegenseitig an Poesie. Ganz zärtlich befährt der junge Liebhaber im Spielzeugauto die Frauenhaut seiner Geliebten auf der Suche nach einer Garage. Der Radiohörer sucht seine Braut mit der Radioantenne auf Melodien ab und geht schliesslich zwischen den Beinen auf Empfang. Das Kussmundmädchen saugt sich mit ihren Riesenlippen am Geliebten fest. 

Ein Bärenstarkes Ensemble, das nicht einmal all seine Tiefen-Qualitäten  zeigen darf, die es in «Long Life» bewies. Die Rigaer Truppe trifft mitten ins Festival-Herz. Sie liefert ein Sittenbild, und wir dürfen staunen über die waschechten Botschafterinnen. Keine Imitate. Keine Recycler. Wir dürfen sie in der universalen Originalsprache verstehen. Der des Theaters, das keinen Trend abbildet, sondern ihn sucht, aus ureigenster Authentizität. 

Das «Blind Summit Theatre» reiht eine ganz andere Perle – zum Abschluss – an die anderen Höhepunkte: Drei Männer bringen ein Stück Karton, eine Puppe, zum Leben. Diese Pappenpuppe denkt nun über das Leben nach und verspricht, auf einem Tisch und nichts als einem Tisch, der darüber hinaus auch noch einen Fleck hat, uns die letzten Stunden Moses vorzuführen.

Diese Truppe brilliert mit letzter Konsequenz in der höchsten Kunst des Theaters – der grösstmöglichen Reduktion auf das Wesentliche. Beckett steht Pate. Kleist hilft mit. Sogar eine kleine Vorlesung «Über das Marionettentheater» hat Platz, und hält uns lachend auf dem neuesten Erkenntnisstand der Trends der Hohen Schulen.  

Die Puppe Moses begegnet Gott, und hadert mit ihm. Leichtfüssig lassen wir uns Performance, Selbstreferenz, Intertexutalität und eine Prise Postdramatik auf der Zunge zergehen und geniessen eine geistreiche Truppe beim Dekonstruieren. So einfach sind Magie und kritisches Denken in einen Karton zu bringen.  

Damit ist dann leider Schluss. Nach achtzehn Vorstellungen an zwölf Tagen kehrt der Alltag wieder ein an den Festivalorten. Es bleibt die Vorfreude aufs nächste Basler Theaterfestival, das uns wieder einen Querschnitt präsentieren wird – von Zufällen beglückt  und mit Umsicht zusammengestellt.

Immerhin: Nicht nur die Kaserne und ihr Team bleibt uns erhalten. Auch eine ganze Truppe hat am Rheinufer angelegt. Sie wird stilbildend im Theater Basel Station machen. «Far A Day Cage» macht ihre momentanen Arbeiten für die Theater in Basel. Die ersten Premieren am 21.9. im Theater sind das «Taumspiel» und «Don Karlos«.

Die Lausbuben, und -Mädchen, die sich da um Tomas Schweigen gesammelt haben, entführten uns während des Festivals in «Urwald» hinter die sieben Berge in den Schwyzer Urwald. Auf unserem ureigensten Kontinent, dort wo unsere Wetterschmöcker als Urbevölkerung belächelt werden, im Muothatal, sind sie den Spuren der Zivilisation gefolgt, wie sie in 700 Jahren von den Überlebenden gefunden werden könnten. Mit einem spitzbübischen Innenblick und einer  verblüffenden Computeranimation des Aussenblicks, geben sie ein gelassenes Katastrophenszenario wieder: Was wird wohl in 700 Jahren jedes Kind noch über unser urbanes Kleinbasel denken? Wie wird es die Spuren deuten? Wird es der Natur letztlich egal sein, ob wir Spät-Menschen einst ein Teil von ihr waren?

Dass die Dryopithecinen dannzumal, nach der Polschmelze und der Ölklemme und der Endlagerkatastrophe etwas anders aussehen als wir, beunruhigt uns gar nicht. Wir gehen ja nicht an Theaterfestivals, um zu sehen, wie wir sind. Uns interessieren die anderen. Die wir einmal sein könnten.

Au revoir, donc, aux artistes! 

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