Tim Fehlbaum: Basels U29 begeistert HELL

HELL BEGEISTERT hell (Bild: Hansjörg Betschart) Die U29 der Schweizer Filmer hat  zugeschlagen: HELL von Tim Fehlbaum ist ein Preisträger. In Deutschland. In der Schweiz ist der Film jetzt angelaufen. Laut Pathé – erfolgreich. Ich verabrede mich mit Tim. Wer ist dieser junge Basler, der in München seine Regisseursausbildung absolvierte? Wer, wie ich, den Katastrophenthriller […]

HELL BEGEISTERT

hell

hell (Bild: Hansjörg Betschart)

Die U29 der Schweizer Filmer hat  zugeschlagen: HELL von Tim Fehlbaum ist ein Preisträger. In Deutschland. In der Schweiz ist der Film jetzt angelaufen. Laut Pathé – erfolgreich. Ich verabrede mich mit Tim.

Wer ist dieser junge Basler, der in München seine Regisseursausbildung absolvierte?

Wer, wie ich, den Katastrophenthriller HELL gesehen hat, der darf einen Kerl erwarten, der mit einem Landrover, Modell 84, mit auf Brusthöhe angeschnallten Benzintanks und obenliegendem Auspuff einfährt. Was mir in der Mitte in Basel entgegentritt, wirkt eher wie ein Maturand des Basler Gymnasiums.

– Tim?

– Tim.

– Kaffee?

– Cappucino. Soll ich … ?

– Ich mache das …

Während ich bestelle, beugt er sich über sein Handy.

Ich skizziere kurz meine Begeisterung für „HELL“, auch meine Einwände. Ein leiser, präzise argumentierender, fast verschmitzer Jüngling sitzt mir gegenüber und hört zu. Vielleicht ist er ein Velofahrer. Der Kopfhörer baumelt griffbereit in seiner Manteltasche und deutet an, dass der Besitzer jederzeit abtauchen könnte. Das Handy ist sendebereit. Als wir unser Interview anfangen, ist Tim Fehlbaum voll auf Empfang.

– Mit diesem Film gehörst du für mich in die U29 der Schweizer Filmer.

– Ah …

– Du bist in Basel aufgewachsen?

– St. Albanvorstadt .. ja .. Und ich habe am Münsterplatz Primar und Gymnasium gemacht.

 – Und wann hast du begonnen, dich für Film zu interessieren?

 – Ich habe als Kind sehr viele Filme gesehen. Mein Vater ist ein grosser Filmliebhaber. Er hat mir Film – nicht als Konsumgut –  sondern als Träger von Grösserem – vermittelt … Er hat mir gezeigt, dass da mehr ist …dass da mehr drinsteckt, als einfach nur Unterhaltung … Mein Wunsch kommt sicher daher ...

– Dein Lieblingsort in Basel?

– Da gibt es viele. Der Münsterplatz mit all seinen Erinnerungen.

– Das ist die Postkartenseite.

– Ja. Und der Badische Bahnhof, da gibt es ein Gebiet, dort  liegt die Stadt brach, es wachsen die Blumen zwischen den stillgelegten Gleisen, da gibt es Autobahnauffahrten und Lüftungsschächte .. eine unwirkliche Welt .. das hat etwas Apokalyptisches .. es ist ein wunderbarer Drehort ..

– Ein anderer Lieblingsort liegt knapp über der Grenze in Weil am Rhein …

Mir fällt sofort Vitra ein. Das geilste Museum der Regio. Nicht für Kunst, sondern für Dinge, die wir brauchen. Sprich Stühle, Kunststühle. Kunst, vor der wir nicht stehen bleiben, sondern Kunst auf die wir uns setzen dürfen: Sitzkunst. In Umgebungen, die uns bewegen.

Das hat mit deiner Familie zu tun. Dein Vater, dein Onkel sind die Vitra-Fehlbaums. Du hast da sozusagen die INVITRA-Fertilisation des Designs mit auf den Weg erhalten. Machst du deshalb Filme die so extrem aus der Optik definiert sind?

– Was mich beeinflusst hat, sind in der Tat ästhetische Dinge. Da ist meine jugendliche Faszination für Zombie-Filme nur eine Seite .. Aber was mich einnimmt sind auch Landschaften: Schweizer Landschaften. Ich bin mit meinen Co-Autoren viel in den Schweizer Alpen gewesen. Meine Mutter wohnt in den Bergen. Wir haben dort geschrieben. Und die Idee, dass die Protagonisten in die Berge fahren ist dadurch geprägt.

– Deine drei Lieblingsfilme als Jugendlicher?

– Hitchcock.

– Klar.

– Hitchcock war damals mein grosser Held. Vertigo. Psycho. Vögel. Bei den „Vögeln“ war prägend  die Behauptungsfreude von Hitchcock. Er hat Dinge einfach behauptet. Nicht erklärt. Das mit den Vögeln wird nie erklärt. Es passiert einfach. Die Vögel wenden sich gegen die Menschen. Das wird nie erklärt. Aber es wirkt  irgendwie glaubwürdig. Das ist das Geheimnis. Er war einer der ersten, der das gemacht hat.

 – Er hat mit unserem kollektiven Bewusstsein gespielt?

– Als erster, ja, und andere haben das dann aufgenommen. Mad Max oder John Carpenters frühe Filme, in denen man einfach in eine Welt geworfen wird, ohne dafür eine Erklärung zu erhalten.

– Später?

– E.T. Ja, klar, aber auch der „Weisse Hai“, und „Shining“.

– Ist das auch der Mainstream der dich da lockte?

– Im Nachhinein ist so ein Film wie der „Weisse Hai“, der einer der ersten Blockbuster war, auch aus cineastischer Sicht hochinteressant. Die haben sich ja damals beim drehen immer genervt, dass das mit dem Hai nie echt aussah, und mussten dann alles weglassen, was die Bedrohung zeigte. Fast alles. Und dadurch wurde di Bedrohung für den Zuschauer viel greifbarer. Sie wurde in den Kopf des Zuschauers verschoben.

– Da beginnt die Verwandtschaft zu HELL. Ein abgetakelter Volvo, mit dem man in die Berge fahren soll, kurz vor dem totalen Zusammenbruch, eine Gruppe von Hilflosen, die mit ungeeigneten Waffe gegen das Desaster  angeht … Eine undefinierbares Böses, eine Katastrophe, in der Wasser zur Leitwährung wird.

– Ich bewundere Haneke. Er ist für mich einer der Grössten, eben gerade darin, dass er das Böse formulieren kann, ohne es zu zeigen. In Hell sieht man einmal ganz kurz Blut – es ist dann das Periodenblut, das für die Hauptfigur das Ende der Hoffnung bedeutet, schwanger zu sein. Und man sieht gegen Schluss noch einmal kurz Blut, aber ansonsten wird der Horror immer nur gestreift. Er soll ja auch im Kopf der Zuschauerinnen erst passieren. Auch eine Regel, die Hitchcock praktiziert hat: Was gezeigt wird, kann nie so gross sein, wie die Angst, die sich im Kopf des Betrachters abspielt.  Darin hat der Weisse Hai aus der Not eine Tugend gemacht. Die technischen Probleme mit dem künstlichen Hai haben zu all den Weglassungen geführt. Das wurde alles weggeschnitten und was blieb war die Angst im Kopf der Betrachterinnen.

– Das ist nicht dein erster Film. Aber dein erster Kinofilm. Was war dein Budget?

Drei Millionen Euro. Es ist eine Schweizerisch/Deutsche Produktion. Aber es ist viel Schweizer Filmförderung dabei. Die ganze Postproduktion haben wir in der Schweiz gemacht. Gefördert wurden wir von der Zürcher Filmstiftung. Schweizer Fernsehen ist beteiligt.

– EVIAN ist plötzlich Gold. Seid ihr gesponsert worden? Volvo ist doch gerne dabei?

Nein. EVIAN wollte da nicht einsteigen. Wir haben es ja auch nur wegen des Witzes genutzt.

– Du hast mit sehr guten Schauspielern gearbeitet. Angela Winkler oder Annah Herzsprung vor eine Katastrophenkamera zu kriegen ist nicht selbstverständlich.

– Nein. Ich musste Angela Winkler lange umwerben. Aber dann war sie ganz auf Augenhöhe. Eigentlich hat es mich erstaunt, wie hungrig SchauspielerInnen auch nach Action sind. Ich habe Hannah 2006 in einem Film gesehen (Vier Minuten) und wusste sofort, dass ich mit ihr arbeiten möchte – in meinem Zombiefilm. Ja .. ja … erst wollte ich eigentlich einen Zombiefilm machen. Weil mich das Genre interessiert. So wie mich auch bei der Apokalypse von HELL der ästhetische Aspekt interessiert hat: Wie kann man mit dieser Helligkeit der Sonne fotografisch umgehen, wozu zwingt sie uns, was macht sie uns möglich.
Ich hatte nicht die Absicht einen Film über den Klimawandel zu machen. Diesem Thema würde der Film auch nie gerecht. Nein. Ich wollte eine visuelle Form ausprobieren, ein optisches Spiel von Licht und Schatten, aber eben sehr filmisch. Die Annäherung war also durchaus eine formale, fast fotografische. Da fiel es mir auch leicht, von der Zombie-Idee Abschied zu nehmen.

– Was für einen Film würdest du über Basel machen?

– Ich habe schon einmal … Einen Kurzfilm. Ich habe bereits in der zweitletzten Klasse am Gymnasium einen Film gemacht ..  anstatt einer Theateraufführung, einer Schüleraufführung haben wir einen Schülerfilm gemacht, den ich inszeniert habe, und die ganze Klasse hat mitgespielt, vor zehn Jahren … und der Film lief sogar im Stadtkino … Wir waren alle stolz. Die Geschichte einer Frau, die durch Basel hetzt …

– Kannst du zu Basel etwas Unbequemes sagen?

– Was ich an Basel so interessant fände, ist, hinter diesem Charme der Stadt auch auf die Suche hinter den Fassaden zu gehen, im industriellen Basel, hinter den Kulissen .. das fände ich interessant … die Optik der Zerstörung … die Optik des Verschleisses … Ich nähere mich den Dingen immer von der Optik her .. .Ich weiss, dass ich mit den Inhalten mich schwer tue… Ich werde beim nächsten Film daran arbeite … , für den nächsten Film werde ich sehr stark mich dem Text, dem Drehbuch widmen … das ist sicher noch meine schwache Seite … Für mich sind eben Bilder das, was meine Stärke ausmacht . Das allererste  Bild für HELL war eine fotografierte Sonne. Daraus sind all die Überblendungen entstanden. All die Effekte. All die Weglassungen, die von der Sonne zerfressenen Bilder.

– Welches war dein Lieblingskino?

Central.  Und das Küchlin.

– Auch wegen des Designs?

Klar. Aber die Kult-Kinos waren schon damals interessant, und Basel hat gegenüber allen deutschen Städten den Vorteil, dass die Filme in Originalversion laufen. Das weiss man erst zu schätzen, wenn man wieder einmal in der Schweiz ist: Die Kinos hier sind einfach viel cineastischer, auch weil die Untertitelung besser gefördert wird …

– Das Publikum wird hier nicht so faul gehalten ….  

Und in den Kult- Kinos laufen auch ungewöhnliche Filme.

– Warum hast du keinen Jugendfilm gemacht? 

Ich glaube, das Schwierigste für mich wäre eine Komödie .. die Leute zum Lachen zu bringen, wäre die Königsdisziplin, wie Billy Wilder es schon genannt hat, aber das würde ich mich nicht trauen .. ich habe einfach eine Neigung zu düsteren Stoffen …
Ich bin noch eher der Handwerker als der Künstler .. Ich liebe den technischen Aspekt des Filmens, Kameraführung, Bildausschnitt .. Ich werde ich im nächsten Film deshalb auch noch mehr damit beschäftigen das Drehbuch  zu entwickeln, Stories zu bauen, Charakterentwicklungen zuzulassen .. da kann ich meine Fähigkeiten noch fordern … ohne meine Co-Autoren hätte ich den Stoff von HELL nie in den Griff gekriegt…

– Bist du auf der Suche nach neuen Stoffen?

– Ich lese gerade Jason Starr PANIK von Diogenes  … Aber die Rechte sind schon weg. David Fincher … Und wenn der sich interessiert, ist da was dran …Ich lese es .. und frage mich, was das sein könnte .   Aber mein Interesse gilt immer Stoffen die mit der Frage spielen, was wäre wenn?, also sich Extremsituationen stellen, sich Menschen in Überlebenssituationen vorstellen wollen …

– Ich habe nun den Eindruck du bist mit der Welt so einverstanden, wie sie ist .. Stellst du dich auch dagegen?

Ich suche nicht die Provokation. Ich suche eher danach, die Zuschauer sich wiedererkennen zu lassen …im Kino denken zu können, ah, das bin ich, so würde ich handeln … das liegt mir nah …  Da fällt mir noch ein Laden ein in Basel, den ich hier immer geschätzt habe, im Anfang der Steinen, im ersten Stock über einer Boutique … Ein Filmplakatladen …

– Existiert nicht mehr.

– Schade.

Leider. Ich muss nun das Gespräch beenden. Danke. Hätte gerne noch mehr erfahren, aber jetzt darf ich zu der Pressevorführung TIM UND STRUPPI .. Spielberg .. Willst du mitkommen?

Tim schaut mich ungläubig an. Ein wenig schimmert der kleine Junge wieder durch. Dann greift der erfolgreiche Regisseur mir gegenüber zum Handy, erledigt drei Anrufe.

Ja. Den will ich sehen.

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