Timm Klose hat sich vom Abstieg Norwichs in Englands zweite Klasse nicht verunsichern lassen. Im Gegenteil, im teilweise wilden Wettbewerb blüht der 28-jährige Innenverteidiger aus Basel richtiggehend auf.
Im Nationalteam ist der Ausfall von Johan Djourou womöglich seine nächste Chance – oder je nach Lesart eine weitere Kehrtwende einer spannenden Laufbahn. Der Frust über die verpasste EM-Chance hat sich verflüchtigt, Klose hat inzwischen eingesehen, weshalb Vladimir Petkovic im letzten Mai ohne den damals angeschlagenen City-Professional plante.
Timm Klose, in Norwich kursierten im Sommer Befürchtungen, Sie würden in Erwägung ziehen, den Klub nach nur einem halben Jahr wieder zu verlassen.
Mir war nach einem sehr offenen Gespräch mit Vladimir Petkovic klar, dass meine Zukunft im Nationalteam unter Umständen gefährdet sein könnte, wenn ich in der zweiten englischen Liga spiele. Ich verstand seine Haltung. Es gibt genügend Kandidaten, die in erstklassigen Vereinen beschäftigt sind. Deshalb machte ich mir natürlich entsprechende Gedanken.
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Sie verteidigen weiterhin für die City – weshalb?
Ich habe die Situation für mich abgewogen. Zum einen will ich meinen Platz in der Nationalmannschaft natürlich nicht kampflos abtreten, andererseits war mir klar, dass es auch an einem neuen Ort wieder schwierig werden würde, mich zu beweisen. Angebote gab es, jenes von West Bromwich prüften wir, aber Norwich lehnte die Offerte ab.
Bot Ihr Verein trotz der Relegation gute Perspektiven an?
Sie zeigten mir mit ihrer Transferpolitik auf, sofort wieder aufsteigen zu wollen. Für Norwich war immer klar, alle Topspieler weiterzubeschäftigen. Der Grossteil ist geblieben, wir haben keinerlei Substanz verloren. Die Premier League schüttet pro Absteiger 90 Millionen Pfund aus. Ein solcher Fallschirm vereinfacht die Planungen entscheidend.
Mit dem Stempel «zweitklassig» haben Sie als Nationalspieler keine Mühe?
Klar war der Fall in die Championship unangenehm. Ich musste mich umstellen. Aber wissen Sie, die Wertschätzung hier tut gut. Ich werde jedes Wochenende gebraucht, und ich weiss genau, dass mir die Verantwortlichen Premier-League-Niveau attestieren.
Auf ein weiteres Abenteuer à la Wolfsburg hatten Sie demzufolge keine Lust?
Wolfsburg war ein gutes und zugleich schwieriges Kapitel. Persönlich und fussballerisch machte ich schon Fortschritte beim VfL. Ich gewann den Cup und war Teil jener Mannschaft, die Platz zwei erreichte in der Bundesliga. Aber die längeren Phasen ohne eine einzige Einsatzminute waren belastend und zunehmend zermürbend.
War die Saison vor der verpassten WM 2014 die schwierigste Ihrer Karriere?
Mir wurde regelrecht der Stecker gezogen. Ich schlug auf dem Boden der Tatsachen auf. Mir braucht niemand zu erzählen, dass es ihm gut gehe, wenn er nicht spielt. Man verdient zwar weiterhin eine schöne Stange Geld, aber glücklich ist am Ende des Tages keiner. Niemand trainiert hart, um nur zuzuschauen. Das zieht dann oft weitere Kreise. Man geht genervt nach Hause, ist schnell gereizt und angreifbar. Sie wissen, was ich meine.
In Norwich sind Sie von der Plattform der Elite verschwunden, aber eine gewisse Konstanz ist nicht übersehbar.
Das Gesamtpaket stimmt, für mein Umfeld passt die Situation. Ich darf hier meine Leidenschaft voll ausleben. Ich spiele aus Passion Fussball. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt nicht primär für die Familie, weil mein Background nichts anderes zulässt. Ich stehe in erster Linie wegen der tollen Emotionen auf dem Platz.
Betrachten Sie Ihr Engagement im Osten Englands in jeglicher Hinsicht als Horizonterweiterung?
Ich lerne in der Tat auch fürs Leben. Der Schweizer Perfektionist stösst im englischen Alltag immer wieder auf kleine Herausforderungen. Als wir das Haus bezogen haben, war die Wohnung nicht frisch gestrichen, sondern dreckig. Die Kisten des Vormieters standen noch herum, Spinnen krabbelten über den Teppich. Die Putzkraft kommt dann vielleicht morgen, oder sie kommt gar nicht (lacht). Der Landlord (Vermieter) muss sein Okay geben, die Agentur vermittelt. Alles ist etwas komplizierter, ein kleiner Kulturschock, aber spannend. Ich mag die Engländer sehr.
Wie gross ist die Challenge im sportlichen Bereich?
Ich war in den ersten zwei, drei Spielen echt überrascht, wie hoch die Intensität ist. Die Gegner rennen, beissen, kratzen. Die Stadien sind beeindruckend voll, in Newcastle kamen fast 50’000. Klar, einen Kevin De Bruyne findet man in dieser Liga nicht, aber das Niveau ist ansprechend. Es gibt einige Namen mit respektablem Premier-League-Palmares.
Sie würden den Begriff «Zweitklassigkeit» also relativieren?
Ich will nicht beurteilen, wie das Niveau in der Ligue 1 oder in der Serie A ist, aber das Championship-Level ist ansprechend. Im Vergleich zur Premier League wird teilweise härter oder zumindest wilder gespielt – fünf verteidigen kompromisslos, fünf greifen bedingungslos an. Im Strafraum werden die Ellenbogen ausgefahren, kopfballstark sind alle. Es gibt mehrere Harry Kanes.
Und Klose mitten in der Abwehrschlacht.
Mir machen solche Spiele Spass. Am vergangenen Samstag in Wolverhampton war ich in den letzten 20 Minuten nur noch damit beschäftigt, Bälle wegzuköpfeln. Darum bin ich doch Verteidiger geworden, um solchen Anstürmen standzuhalten.
Was schätzen Sie ausserhalb des Feldes?
Mir hat beispielsweise imponiert, wie die Fans auf das unbefriedigende Ergebnis der letzten Saison reagiert haben. Sie rasteten nicht aus, sondern erhoben sich und klatschten. Ich war erstaunt, keine Pfiffe, keine Kritik, Applaus und die Message: ‚Kein Problem. Ihr schafft es, wieder aufzusteigen. Wir glauben an euch.‘ Das ist nicht alltäglich im Profi-Fussball.
Apropos speziell: Delia Smith und ihr Ehepartner Michael führen den Klub nicht aus der Ferne wie andere Mehrheitsaktionäre.
Delia ist eine faszinierende Persönlichkeit. Sie ist ja eigentlich die Vorgängerin von Jamie Oliver (Starkoch und Autor). Zusammen mit ihrer 94-jährigen Mutter kommt sie fast an jedes Heimspiel. Es kam schon vor, dass sie sich ein Mikro schnappte und die Fans auf dem Rasen anwies, die Mannschaft besser zu unterstützen. Solche Aktionen kommen in England gut an. Die beiden Klubbesitzer sind bodenständige, liebe Menschen. Sie tragen Sorge zum Verein und leben Identifikation vor.