Der im Nebenprozess zur Tinner-Affäre angeklagte Ingenieur ist am Mittwoch am Bundesstrafgericht in Bellinzona freigesprochen worden. Der Mann hat laut Gericht die Herstellung von Kernwaffen nicht gefördert.
Der Ingenieur war verdächtigt worden, zeitweise bei den Atombomben-Aktivitäten von Friedrich Tinner und dessen beiden Söhnen Urs und Marco mitgearbeitet zu haben. Die Tinners waren 2012 vor dem Bundesstrafgericht der «Förderung der Herstellung von Kernwaffen» schuldig gesprochen worden.
Der 65-jährige Mann aus dem St. Galler Rheintal war beschuldigt worden, ab Januar 2003 ein Steuersystem für Zentrifugen hergestellt zu haben, das von Marco Tinner nach Libyen verkauft werden sollte, um dort in einer Urananreicherungsanlage eingesetzt zu werden.
Die Anklage lautete deshalb ebenfalls, sich an der «Förderung der Herstellung von Kernwaffen» beteiligt zu haben. Der Angeklagte war bereits Ende 2012 zu einer bedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu 250 Franken sowie zu einer Busse in Höhe von 6000 Franken verurteilt worden.
Gegen diesen Strafbefehl erhob er Einsprache. Im letzten Juli erliess die Bundesanwaltschaft einen zweiten Strafbefehl, der Angeklagte reichte erneut Einsprache ein, so dass der Fall nun vor das Bundesstrafgericht gelangte.
Ein Tag im Juni ist im Prozess entscheidend
Der Richter sah es in seinem Urteil von Donnerstag als nicht erwiesen an, dass der Ingenieur die Herstellung von Kernwaffen förderte. Der Richter verfügte zudem für den Freigesprochenen eine Entschädigung von 35’000 Franken. Der Bund muss die Verfahrenskosten übernehmen.
Im Entscheid im aktuellen Prozess steht laut dem Richter der 18. Juni 2003 im Zentrum. An diesem Tag soll Marco Tinner dem befreundeten Ingenieur mitgeteilt haben, dass er «mit den amerikanischen Diensten» zusammenarbeite.
Ausserdem informierte er ihn darüber, dass die Steuerungselemente für die Zentrifugen, die der Ingenieur herstellte, für das libysche Kernwaffenprogramm bestimmt seien.
Dieses Datum ist insofern für die Urteilsbegründung entscheidend, weil der Tinner-Gehilfe vor diesem Datum laut Gericht nicht darüber in Kenntnis war, dass sein Steuersystem einem kriegerischen Zweck dienen sollte. Er kann deshalb vor dem 18. Juni nicht beschuldigt werden, die Herstellung von Kernwaffen gefördert zu haben, sagte der Richter.
Straftatbestand hinfällig
Für die Zeit nach dem 18. Juni zeichnet der Richter folgendes Bild der Rechtslage: Der 65-jährige Ingenieur wusste ab diesem Zeitpunkt davon, dass seine Bauteile nach Libyen geliefert werden sollten. Allerdings kooperierte Tinner laut Richter von da an aktiv mit den Behörden. Er galt demnach nicht mehr als straffällig.
Damit sei laut Gericht auch der Straftatbestand der «Förderung der Herstellung» für den Ingenieur hinfällig, da in diesem Moment der «geförderte» Tinner bereits nicht mehr rechtswidrig handelte.
Bundesanwaltschaft widerspricht
Die Bundesanwaltschaft sah im 18. Juni hingegen gerade den Beginn des schuldhaften Verhaltens des Ingenieurs: Er arbeitete im Anschluss nämlich auf eigene Faust an den Steuerungselementen weiter. Laut Bundesanwalt, um sie an jedem beliebigen Interessenten zu verkaufen. In seinem Anfangsplädoyer zitiert er den Ingenieur aus dem Verhörprotokoll: «Ich wollte bereit sein, wenn es wieder losgehen sollte.»
Das Gericht griff in diesem Zusammenhang jedoch die Argumentation der Verteidigung wieder auf und sagte, dass der Ingenieur über kein eigenes, von Tinner unabhängiges, Netzwerk verfügte. Ein eigenständiger Verkauf der Steuerungselemente sei damit nahezu unmöglich gewesen.
Der Bundesanwalt zeigte sich über das Urteil erstaunt. Er wird eine schriftliche Begründung des Urteils verlangen, da es sich um eine bisher unbekannte rechtliche Situation handle, sagte der Bundesanwalt im Anschluss an den Prozess.