Todescocktail im Erdbeerjoghurt

Wir alle müssen einmal sterben. Das ist ärgerlich bis tragisch, aber gute Voraussetzung für einen Musiktheaterabend, der um das Thema Tod kreist – dann damit kann jeder etwas anfangen. So eröffnete ein Abschied vom Leben die neue Saison in der Gare du Nord: Das Auftragswerk «7 Silben» von Francesc Prat wurde uraufgeführt.

Der Tod: eine Öffnung ins Dunkle. Szene aus «7 Silben» im Gare du Nord Basel. (Bild: Ute Schendel)

Wir alle müssen einmal sterben. Das ist ärgerlich bis tragisch, aber gute Voraussetzung für einen Musiktheaterabend, der um das Thema Tod kreist – dann damit kann jeder etwas anfangen. So eröffnete ein Abschied vom Leben die neue Saison in der Gare du Nord: Das Auftragswerk «7 Silben» von Francesc Prat wurde uraufgeführt.

«Eine Erfahrung über das Leben im Tod» heisst das Stück im Untertitel. Ihm liegt eine wahre Begebenheit zu Grunde, nachzulesen in der spanischen Zeitung «El País». Dort erschien ein Gespräch zwischen einem Journalisten und einem unheilbar kranken Mann, der sich zum Selbstmord entschlossen hatte und dies wenige Stunden nach dem Interview in die Tat umsetzte. Die Kühle, mit der der frühere Reisebegleiter Carlos Santos Velicia – die sieben Silben seines Namens gaben dem Stück den Titel – sein Leben resümierte und dem Tod entgegenblickte, dazu die existentielle Überforderung des Interviewenden, das alles beeindruckte Francesc Prat so stark, dass er den Text in ein Libretto umarbeitete. Was nun mit Hilfe des Regieteams (Regie: Markus Bothe, Bühne: Martin Müller, Kostüme: Regina Lorenz, Dramaturgie: Albrecht Puhlmann) auf die Bühne kam, hat sich jedoch von der Interviewform gelöst.

Ein Zimmer bleibt frei

In vier identischen, schon in die Jahre gekommenen Hotelzimmern agieren fünf Personen: Hans Peter Blochwitz (Tenor) und Jürg Henneberger (Klavier) zwängen sich in eines, Toshiko Sakakibara (Klarinette) und Beat Schneider (Cello) in ein anderes, der Schauspieler Michael Wolf hat eines für sich, und ein Zimmer bleibt frei – wohl für uns. Sie alle tragen ein Matrosenhemd, sind also alle – wie man aus dem Foto im Programmheft schliessen kann – jener schwerkranke Carlos, der sich in einem deprimierend belanglosen Hotelzimmer eingefunden hat, um das mit Gift versetzte Erdbeerjoghurt zu verzehren.

Die sieben Bilder des Stücks rücken ganz die Worte Carlos’ ins Zentrum. Prat hat sie in die monologisierende Form einer Abschiedsrede gebracht, die Michael Wolf glaubwürdig schwankend zwischen robuster Entschlossenheit und fragiler Hinfälligkeit spricht. Dem sind gesungene spanische und lateinische Texte an die Seite gestellt, rezitativisch vorgetragen, vom Tenor ganz auf Textverständlichkeit hin artikuliert – gewichtige Sätze, welche die letztlich profane Situation medizinischer Sterbehilfe wohl auf eine höhere, religiöse Ebene hin öffnen sollen. Und mittendrin als Zwischenspiel: eine wohltuend ironische Fabel, die darüber belehrt, dass das Schwimmenkönnen vor dem Tod mitunter besser schützt als das Philosophierenkönnen.

Die Musik verstummt

Prats zurückhaltende Musik lässt den Texten Raum zur Entfaltung, beschränkt sich auf minime Gesten, auf kleine, um sich selbst kreisende Figuren, raffiniert ergänzt durch Perkussion-Pulsen aus dem Off (Daniel Buess). Es gibt nur wenige Ausbrüche (darunter ein berückendes Klarinettensolo gegen Ende); immer wieder verstummt die Musik bis hin zu anhaltender Stille. Prats Kammermusiktheaterstück ist ein ganz eigenes Gebilde, in dem sich szenische und musikalische Elemente zu einer Textperformance vereinen.

Dieser sprachintensive Abend macht schon wegen seines Themas nachdenklich. Vom Lebensabschied, von Erinnerungen, auch von kleinen Eitelkeiten im Angesicht des Todes ist da die Rede, von Schmerzen, von der gefährdeten Bewältigung des Alltags, von Pillen gegen die Angst und von meist verschwiegenen Details wie Inkontinenz. Der paradoxe Versuch, durch Suizid die Souveränität über das eigene Leben zu wahren, geht unweigerlich nah, erregt Mitleid.

Eine Öffnung ins Dunkle

Dennoch bleibt das Geschehen auf der Bühne recht eindimensional – jedenfalls, wenn man sich daneben die Interviewvorlage in ihrer Abgründigkeit ausmalt: dass da einer extrovertiert, ja exhibitionistisch sein Sterben hinausposaunt und damit beinahe übergriffig den Interviewer überfordert, dass zwei miteinander reden, von denen einer leben und einer sterben wird.

Am Ende legt sich der fünffache Carlos nicht einfach zum Sterben hin, sondern demontiert die Rückwände seiner Hotelzimmerzellen. Sichtbar wird die schwarze Bühnenwand. Der Tod: eine Öffnung ins Dunkle. Der fünffache Carlos tritt einer nach dem anderen hinaus aus dem miefigen Hotelzimmer, hinaus aus dem Leben. Er beginnt, weisse Sätze ins Schwarz zu kritzeln. Auch Calderóns «¿Qué es la vida? Una ilusion, una sombra, una ficción.» – Dunkel, Stille, zögerlich einsetzender Applaus.

 «7 Silben» ist Teil der Journées contemporaines: eine Kooperation des Gare du Nord und dem Theater Basel, welche vier neue Opern auf die Bühne bringt.
Auf «7 Silben» folgen im Theater Basel:
«Der Sandmann» von Andrea Lorenzo Scartazzini (20.10.2012)
«Lost Circles» mit Stücken von Michael Roth und Alfred Zimmerlin (21.10.2012)
«Java Suite» von Agustí Charles (ebenfalls 21.10.2012)

 

 

 

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