Tom Lüthi steht vor seiner 15. kompletten GP-Saison, der achten in der Moto2-Klasse. «Ich will Weltmeister werden, alles andere wäre gelogen», so der 30-jährige Berner.
Lüthi äussert sich vor dem Saisonauftakt in Katar im Interview mit der Nachrichtenagentur sda zu seinen Ambitionen in diesem Jahr, seiner durchzogenen Vorbereitung, seinen MotoGP-Plänen und zu Abfahrts-Weltmeister Beat Feuz.
Tom Lüthi, Sie waren 2016 WM-Zweiter und hatten bis zum zweitletzten Saisonrennen Chancen auf den Moto2-WM-Titel. Dieses Jahr kann es für Sie also nur eine Zielsetzung geben.
«Ich will Weltmeister werden – etwas anderes zu sagen, wäre gelogen und auch nicht glaubwürdig. Ich war WM-Zweiter, und im Jahr darauf will man besser sein.»
Ihre Absicht, den zweiten WM-Titel nach 2005 zu gewinnen, erwähnen Sie seit einigen Jahren regelmässig.
«Tatsächlich ist das schon lange ein Thema. Ich bin mir bewusst, dass meine Zielsetzung dazu führt, dass auch die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit hoch ist. Nach der Saison wird dann halt auch thematisiert, dass ich es wieder nicht geschafft habe, Weltmeister zu werden.»
Ist das nach einer Saison wie 2016 nicht ärgerlich?
«Auf den zweiten Gesamtrang waren das Team und ich sehr stolz. Für uns war klar, dass wir diese starke Platzierung in der zweiten Saisonhälfte gewonnen haben, und nicht etwa, dass wir vielleicht in den Monaten zuvor den WM-Titel vergeben haben.»
Wo sehen Sie sich wenige Tage vor dem ersten von 18 Grands Prix in diesem Jahr?
«Die Vorbereitung auf die Saison, also vor allem die offiziellen Tests in Jerez und Katar, stufe ich als eher durchzogen ein. Es lief nicht immer top, gerade in Jerez war es sogar eher schwierig. Doch es gab auch immer wieder Lichtblicke. Zuletzt in Katar konnten wir wegen des schlechten Wetters nicht so viel testen wie erhofft. Doch am Schluss hatte ich den Eindruck, dass es in Sachen Motorrad-Abstimmung in die richtige Richtung geht.»
Also sind Sie zuversichtlich für den Saisonauftakt auf dem Circuit in Losail, wo Sie letztes Jahr siegten?
«Wir sind nicht schlecht vorbereitet. Ich habe in den letzten Testtagen wieder zu einer gewissen Konstanz gefunden. Aber klar: Die kommenden Trainings ab Donnerstag gilt es möglichst gut auszunutzen, damit wir am Sonntag im Rennen parat sind. Wichtig ist danach aber auch, dass man die ganze Saison voll durchziehen kann.»
Nach der Saison 2015 gab es in Ihrem Umfeld einige Änderungen, so wechselten Sie damals auch den Chefmechaniker. Nun setzen Sie auf Bewährtes.
«Ja. Meine Bitte an den Teamchef (Fred Corminboeuf) war, bezüglich Personen und Material auf Kontinuität zu setzen. Gerade in der Zusammenarbeit mit Gilles (Bigot) erhoffe ich mir ganz klar nochmals einen Schritt nach vorne. Wenn ich zurückblicke, so mussten wir zu Beginn unserer Zusammenarbeit doch noch lernen, uns zu verstehen. Wie tickt der Andere? Wie geht er mit meinen Aussagen um? Was brauche ich als Fahrer? Das spielte sich dann aber sehr gut ein.»
War 2016 denn Ihre beste Saison der Karriere?
«Es war sicher meine bewusst beste Saison und ab Silverstone sehr cool. Schon unglaublich, zwei Wochen nach einer Gehirnerschütterung zurückzukommen und gleich wieder zu gewinnen.»
Wie war das möglich?
«Ganz genau kann ich das auch jetzt nicht aufschlüsseln. Es passiert so viel im Kopf – aber hoffentlich nicht nur deshalb, weil ich in Brünn so heftig darauf gefallen bin. Ich schätze, es hat viel mit der eigenen Erwartungshaltung zu tun. Nach einem Sieg möchte man als Sportler eine solche Leistung exakt genau gleich wieder abrufen können. Das ist allerdings alles andere als einfach.»
Machen Sie sich Gedanken, wie das andere Sportler handhaben?
«Ich habe am TV die Ski-WM ziemlich intensiv mitverfolgt. Dabei hat mir natürlich die Story von Beat Feuz gefallen. Diese ist speziell, denn er wurde schon im Vorfeld die ganze Zeit als Favorit gehandelt. Ich weiss nicht, wie oft am Tag Beat das wohl gehört hat. Auf der Piste konnte er im entscheidenden Moment aber alle äusseren Faktoren ausblenden. Das war mental eine krasse Leistung. Chapeau!»
Haben Sie sich vielleicht sogar in seine Lage versetzt?
«Ja. Und es war cool, seinen Triumph so mitzufühlen. Auch wenn das jetzt vielleicht etwas doof klingt. Doch mir geschieht es regelmässig auch, dass ich von meiner Favoritenrolle höre und dann Rennen fahren muss.»
Sie stammen beide aus dem Emmental und sind fast gleich alt. Wie gut kennen Sie Feuz?
«Nun haben wir uns schon eine gewisse Zeit nicht mehr gesehen. Aber früher waren wir zusammen recht unterwegs.»
Sind Sie früher nicht sogar Skirennen gegen Feuz gefahren?
«Ja, aber ich verlor doch jeweils einige Sekunden.»
Zurück zum Motorrad: Wie ist das bei Ihnen, wenn es gut läuft?
«Im Erfolgsfall darf man sich nicht zu sicher fühlen. Man muss versuchen, zu pushen und das Limit zu suchen. Aber wenn du übers Limit gehst, schlägt die Sache mit einem Sturz plötzlich um und du verlierst Selbstvertrauen.»
Stimmt der Eindruck, dass Sie in der zweiten Hälfte der letzten Saison so aggressiv wie noch kaum jemals fuhren?
«Ich würde es eher instinktiver und effizienter nennen. Das hat aber natürlich auch mit den Erfolgen zu tun. Diese führen zu mehr Selbstvertrauen und auch zu mehr Vertrauen in die Möglichkeiten des Motorrads. Ist man in einem ‚Flow‘, geht alles spielerischer.»
Können Sie nach vier Monaten ohne Rennen zu diesem Zustand zurückfinden?
«Ich versuche es. Klar wollen wir das, was funktioniert hat, auch für 2017 behalten. Doch es ist ein neues Motorrad, das zum Beispiel einen anderen Schwerpunkt hat. Es gilt also, die beste Abstimmung neu zu finden. Einfach die Telemetrie-Daten von letztem Jahr nehmen und das Motorrad so wie damals abstimmen, das funktioniert nicht.»
Kalex war in den letzten Jahren das klar dominierende Motorrad in der Moto2-Klasse. Neben dem österreichischen Hersteller KTM kehrt für 2017 auch Suter zurück. Werden sie konkurrenzfähig sein?
«Absolut. Ich traue Suter, das früher unbestritten ein Sieger-Motorrad hatte, und KTM einiges zu. Beide werden schnell sein.»
Gut also, dass es wieder mehr Konkurrenz gibt?
«Ja. Es ist gut, dass wieder mehr Hersteller als auch schon vertreten sind. Schliesslich ist es eine Weltmeisterschaft. Konkurrenz belebt das Geschäft.»
Welche Rolle spielt die Königsklasse in Ihren Zukunftsplänen?
«Die MotoGP-Tests letztes Jahr mit KTM waren ein Hammer-Erlebnis. In den ersten Runden habe ich gestaunt, was da mit mir passiert. Danach lief es aber schnell sehr gut. Das machte richtig Spass – und Lust auf mehr.»
Sind für 2017 auch wieder solche Tests geplant?
«Nein. Aber es würde mich schon reizen zu erfahren, was ich auf einem guten MotoGP-Motorrad erreichen könnte. Gerade auch wenn ich sehe, was beispielsweise Jonas Folger in den Tests für starke Leistungen geboten hat. Er war fast immer in den Top 10 und einmal sogar Vierter. Das ist erstaunlich. Fahrerisch schätze ich uns nach den letzten zwei Jahren in der Moto2 ähnlich stark ein.»
Der Deutsche Folger zeigt, was mit konkurrenzfähigem Material für einen MotoGP-Neuling möglich ist.
«Genau. Wenn du dieses Material aber nicht hast, dann bleibe ich lieber in der Moto2, wo ich um Siege und den Titel fahren kann. Für mich stimmt es so, wie es momentan ist.»
Wenn Sie heuer Moto2-Weltmeister werden, dann…
«…käme der Aufstieg in die MotoGP-Klasse sicherlich viel näher. Aber eine Garantie dafür wäre der Titel trotzdem nicht.»