Nach Roger Federer steht auch Rafael Nadal vor der Krönung eines grossen Comebacks. Auf Sand ist er einmal mehr fast unschlagbar, in Paris strebt er seine zehnte French-Open-Krone an.
Stan Wawrinka ist vor dem Start am Sonntag die grösste Unbekannte. Der 32-jährige Waadtländer spielte eine miserable Sandsaison – bis er sie mit der erneuten Finalqualifikation in Genf diese Woche deutlich aufpolierte. Gerade mal zwei Matches hatte er in Monte Carlo, Madrid und Rom gewonnen, wo die Elite vollständig vertreten war. Anderseits weiss mittlerweile jeder, dass der Wawrinka bei «normalen» Turnieren und der Wawrinka bei den Grand Slams, wo auf drei Gewinnsätze gespielt wird, so unterschiedlich sind wie Tag und Nacht.
«Ich stecke nicht in der Krise», betonte der Romand auch in Genf gleich zu Beginn wieder. Er fühle sich physisch top und spiele im Training gut. «Ein oder zwei Siege könnten reichen, damit ich mein Selbstvertrauen wieder finde und mich in den entscheidenden Momenten in den Matches freier fühle.» In Genf sind es bereits mindestens drei. So oder so wird Wawrinka im Stade Roland-Garros wesentlich schwieriger zu bezwingen sein als in den letzten Wochen. Er kann frühestens in der 3. Runde auf einen Gegner aus den Top 30 (Fabio Fognini) treffen, und als «Marathon-Mann» kommen ihm die längeren Spiele entgegen. Bei den Buchmachern sind zwar neben Sand-Dominator Nadal auch noch die in der Weltrangliste vor ihm klassierten Andy Murray und Novak Djokovic höher eingestuft, doch der Champion von 2015 und Halbfinalist des letzten Jahres dürfte der Spieler sein, der Nadal in der Schlussphase des Turniers am ehesten gefährlich werden könnte.
Nadal fast in alter Stärke
Während sich Roger Federer während der gesamten Sandsaison eine Pause gönnt und sich bereits auf sein grosses Ziel Wimbledon vorbereitet, nahm Rafael Nadals Comeback-Zug weiter Fahrt auf. Keiner hat in diesem Jahr mehr Punkte gesammelt als der Spanier – und hätte er nicht drei seiner sechs Niederlagen (darunter in den Finals am Australian Open und in Miami) gegen Federer einstecken müssen, wäre sein Vorsprung an der Spitze noch grösser. Auf Sand kehrte er zu seiner früheren Dominanz zurück und gewann die Turniere in Monte Carlo, Barcelona (zum jeweils 10. Mal) und Madrid. Einzig in Rom musste sich Nadal vor einer Woche Dominic Thiem geschlagen geben.
Diese Niederlage zeigte, dass der Linkshänder von der Ferieninsel Mallorca nicht ganz so stark ist wie zu seiner Blütezeit. In den entscheidenden Momenten spielt er passiver und wartet eher auf Fehler seiner Gegner. Dennoch ist er hoher Favorit, um auch in Paris seine «Decima», den zehnten Titel, zu gewinnen. Das liegt auch an der Schwäche der Gegner. Die Nummer 1 Andy Murray ist in eine tiefe Krise gestürzt und verlor bei seinen letzten sieben Turnieren fünfmal vor den Viertelfinals. Zudem war er Anfang Woche auch noch krank.
Djokovic hofft auf den Agassi-Effekt
Titelverteidiger Novak Djokovic zeigte mit seiner Finalqualifikation in Rom zwar Aufwärtsdistanz, blieb dort aber gegen Jungstar Alexander Zverev chancenlos. Es war überhaupt erst der zweite Final des Serben nach dem Turniersieg Anfang Jahr in Doha. Nachdem er vor einem Jahr mit dem Sieg am French Open endlich seinen Karriere-Grand-Slam komplett gemacht hatte, fiel Djokovic in ein Loch, aus dem er bis jetzt nicht herausgefunden hat.
Seine Probleme dürften nicht physischer oder spielerischer, sondern mentaler Art sein. Insofern macht das Engagement von Andre Agassi als temporärer Coach – oder wohl eher Mentor und Motivator – durchaus Sinn. Djokovic braucht keinen, der ihm das Tennis spielen wieder beibringt, sondern einen, der einen neuen Reiz setzen kann. Das Experiment verspricht jedenfalls Spannung.
Durchbruch der Jungen?
Mit dem 23-jährigen Österreicher Thiem (Finalist in Barcelona und Madrid, Halbfinalist in Rom) und dem 20-jährigen Deutschen Zverev (Sieger in Rom) spielten sich in den letzten Wochen erstmals – und endlich – zwei Junge in den Vordergrund. Thiem gehört zu den ersten Kandidaten, um an der Porte d’Auteuil wie im Vorjahr zumindest die Halbfinals zu erreichen. Er hat seine Grand-Slam-Tauglichkeit bereits unter Beweis gestellt und ist ein absoluter Sandspezialist. Zverev hingegen ist bei einem Major-Turnier noch nie über die 3. Runde hinausgekommen. In Rom verblüffte er aber mit seiner Coolness und Ruhe.
Die Zeit von Thiem und Zverev wird eher früher als später kommen. Noch aber scheint der Thron in Paris für Nadal reserviert. Er wäre natürlich der erste Spieler der Geschichte, der ein Grand-Slam-Turnier zum 10. Mal gewinnt (bereits die 9 Siege sind Rekord). Und es würde zum bisherigen Tennisjahr mit der Auferstehung Roger Federers passen. Bei einem Triumph wäre Nadal, der am Pfingstsamstag 31 Jahre alt wird, der älteste Roland-Garros-Sieger seit seinem Landsmann Andres Gimeno 1972 (34-jährig).