Von den Schweizer Radprofis sind mehr Schlagzeilen als an der letztjährigen Tour de France zu erwarten. Gleich neun wurden aufgeboten. Mathias Frank kommt beim IAM-Team sogar die Leaderrolle zu.
Die Verdreifachung der Anzahl Schweizer Teilnehmer gegenüber dem Vorjahr ist vor allem IAM Cycling zu verdanken. Die einzige Schweizer Profi-Equipe erhielt im zweiten Jahr ihres Bestehens von den Tour-Organisatoren die angestrebte Wildcard und stellt gleich fünf Schweizer Starter. Neben Leader Mathias Frank stehen auch Martin Elmiger, der schon zum fünften Mal an der «Grande boucle» teilnimmt, sowie die drei Debütanten Reto Hollenstein, Sébastien Reichenbach und Marcel Wyss im Aufgebot von IAM.
Frank verpasste zuletzt an der Tour de Suisse den Gesamtsieg bloss um 33 Sekunden. Nun strebt der 27-jährige Luzerner beim wichtigsten Radrennen der Welt eine Top-10-Platzierung in der Gesamtwertung an. Letztmals gelang dies einem Schweizer vor 15 Jahren. 1999 wurde Alex Zülle Zweiter hinter dem mittlerweile aus den Siegerlisten gestrichenen Amerikaner Lance Armstrong. Mit Laurent Dufaux belegte damals ein weiterer Schweizer den 4. Platz.
Mathias Frank nimmt erst zum zweiten Mal an der Tour de France teil, wobei ihm bei seiner Premiere vor vier Jahren die Rolle des Pechvogels zukam. Der Luzerner stürzte damals bereits im Prolog in Rotterdam, worauf er wegen eines gebrochenen Daumens aufgeben musste. Die Tour und Mathias Frank also keine Liebesgeschichte? «Das versuchen wir dieses Jahr zu ändern», so die Absicht von Frank, dem auch ob der Rolle des Teamleaders und dem damit verbundenen Druck nicht bange ist: «Damit werde ich schon zurechtkommen.» Die Situation sei allerdings auch anders als bei der Tour de Suisse, sagt der Zentralschweizer. «Nun in Frankreich wird es sicher weniger Stress für uns von IAM geben. Wir sind ja nicht das Team Sky, das den ganzen Haufen kontrollieren muss.»
Frank wird in den Bergen unterstützt vom Walliser Reichenbach, zuletzt Gesamt-14. der Dauphiné-Rundfahrt, und vom Berner Wyss. Dieser hatte zuletzt auf der Schlussetappe der Tour de Suisse nach Saas-Fee seine Helferkünste eindrücklich unter Beweis gestellt. Elmiger, der frischgebackene Schweizer Strassenmeister, sowie Hollenstein sind als Helfer in der Fläche vorgesehen. Vieles ist bei IAM auf Frank ausgerichtet. Dennoch werden den starken Klassik-Fahrern Sylvain Chavanel und Heinrich Haussler in den Flach- und Überführungsetappen grosse Freiheiten eingeräumt. Der Franzose ist bereits zum 14. Mal in Serie an der Tour dabei. «Wenn es uns in den ersten Etappen und danach auch am fünften Tag auf den Pavés nach Arenberg aufgeht, kann ein Chavanel oder Haussler vielleicht gar das Gelbe Trikot holen», gerät IAM-Patron Michel Thétaz im Vorfeld der 101. Tour ins Träumen.
Derjenige Schweizer, der die wohl grössten Chancen auf einen Etappensieg besitzt, heisst Michael Albasini. Der 33-jährige Thurgauer ist ein starker Allrounder und Puncher, der heuer in der Tour de Romandie gleich drei Etappensiege feierte. Letztes Jahr in Lyon verpasste er als Zweiter seinen ersten Tageserfolg an der Tour nur knapp. Albasinis Vorfreude auf seine sechste Tour de France ist gross, denn «ich bin wirklich gut in Form und bereit für die drei Wochen. Es gibt einige Etappen, wo ich oder ein anderer Fahrer des Teams etwas versuchen werden.» Diese Etappen habe man schon genauer angeschaut, so der Ostschweizer, der bei Orica-Greenedge davon profitiert, dass «wir ein Team von Etappenfahrern sind, da niemand aufs Gesamtklassement fährt». Albasini kündigt auch an, dass sein australischen Team an ein, zwei Tagen wie bei einem Eintagesrennen auftreten werde.
Für Michael Schär («Bei BMC haben wir einige Verletzte und Kranke. Deshalb war es so einfach wie noch nie, ins Team für die Tour zu kommen.») präsentiert sich die Situation ganz anders. Der 27-jährige Luzerner wird sich auch bei seiner vierten Tour-Teilnahme in Folge ganz in der Rolle des Helfers wiederfinden. Das vom Zürcher Andy Rihs alimentierte BMC-Team setzt in den kommenden drei Wochen ganz auf den Amerikaner Tejay van Garderen, der sich im Gesamten so weit vorne wie möglich platzieren soll. Obwohl ohne grosse persönliche Ambitionen am Start, hofft Schär dennoch, dass es ihm besser läuft als im Vorjahr. «Das lief doch sehr enttäuschend. Wegen eines Sturzes und der dabei ausgekugelten Schulter musste ich schon nach der achten Etappe aufgeben.» Vielmehr will der Schweizer Meister von 2013 heuer zum dritten Mal Paris sehen.
Fabian Cancellara, der bereits zum neunten Mal an der Tour teilnimmt, besitzt aus Schweizer Sicht die grösste Erfahrung. Wie vor Jahresfrist, als er in Frankreich nicht dabei war und stattdessen die Österreich-Rundfahrt mit seiner Anwesenheit «beehrte», ist allerdings kein Prolog angesetzt. Auch das lange Zeitfahren ist erst für den zweitletzten Tour-Tag programmiert – wenn der 33-jährige Berner wohl schon länger nicht mehr im Feld mitfährt. Cancellara fehlt also ein grosses Ziel wie 2012. Bei seiner bisher letzten Teilnahme fuhr er nach dem Prologsieg in Lüttich während einer Woche in Gelb durch Frankreich. Am interessantesten für den erfolgreichsten Schweizer Profi der letzten Jahre scheint heuer die fünfte Etappe von Ypres nach Arenberg. Diese ist zwar nur 155 km lang, sie ähnelt jedoch mit neun Pavé-Sektoren von insgesamt knapp 16 km Länge einer «Light-Version» des Frühjahr-Klassikers Paris-Roubaix. Wie Cancellara steht auch Gregory Rast (4. Teilnahme) im Aufgebot des amerikanischen Trek-Teams.