Türkei versucht Bedenken an künftigem Kurs zu zerstreuen

Die türkische Regierung hat die teilweise Aussetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention angekündigt. Dies folge der Ausrufung des Ausnahmezustandes, berichtete der Sender NTV unter Berufung auf Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus.

Präsident Recep Tayyip Erdogan verkündet den Ausnahmezustand. (Archiv) (Bild: sda)

Die türkische Regierung hat die teilweise Aussetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention angekündigt. Dies folge der Ausrufung des Ausnahmezustandes, berichtete der Sender NTV unter Berufung auf Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus.

Kurtulmus verwies nach übereinstimmenden Angaben türkischer Medien vom Donnerstag auf Artikel 15 der Konvention, der einen solchen Schritt in Kriegs- oder Notstandszeiten mit Einschränkungen erlaubt. Auch Frankreich hat die Konvention nach den Anschlägen von Paris teilweise ausgesetzt, ebenso wie die Regierung in Kiew wegen der Gewalt in der Ostukraine.

Kurtulmus sagte nach Angaben der Zeitung «Hürriyet»: «Unser Ziel ist es, den Ausnahmezustand so kurz wie möglich zu halten.» Er hoffe, dass er bereits nach einem bis eineinhalb Monaten wieder aufgehoben werden könne – statt der verhängten drei Monate. Er sicherte zu: «Es wird keine Ausgangssperre geben. Bei den Grundrechten werden keine Zugeständnisse gemacht werden.»

Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte ihn am Mittwoch als Reaktion auf den Putschversuch der vergangenen Woche ausgerufen. Seit Donnerstag ist er in Kraft.

Simsek: «Noch nie so starke Demokratie»

Nach der Verhängung des Ausnahmezustandes durch Präsident Recep Tayyip Erdogan versucht die türkische Regierung, Zweifel am künftigen Kurs des Landes zu zerstreuen.

Die türkische Demokratie sei so stark wie nie zuvor, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Mehmet Simsek im türkischen Sender NTV. Über Twitter legte er nach: «Der Ausnahmezustand in der Türkei umfasst keine Einschränkungen der Bewegungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit.»

Der AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroglu sagte, er könne die Sorgen vieler Menschen nachvollziehen. «Aber der Ausnahmezustand ist gerade die Antwort auf diese Sorgen.» Die Regierung hätte auch den in der Verfassung ebenfalls vorgesehenen Notstand ausrufen können. «Es geht jedoch darum, die mildesten Mittel zur endgültigen Niederschlagung gegen die Bedrohungen der öffentlichen Ordnung zu verwenden.» Das sei angemessen.

Opposition warnt vor Alleinherrschaft

Trotz dieser Bekenntnisse wuchsen die Sorgen im Ausland und in den Reihen der Opposition. Mit dem Ausnahmezustand werde der Weg für Übergriffe bereitet, warnte der Abgeordnete der Republikanischen Volkspartei (CHP), Sezgin Tanrikulu.

Auch die pro-kurdische Partei HDP zeigte sich kritisch. Das Land sei gezwungen gewesen, zwischen einem Putsch und einem undemokratischen Regime zu wählen, schrieb die HDP.

«Diese Wahlmöglichkeit lehnen wir ab.» Der Putschversuch sei zu einer Gelegenheit geworden, alle Gegner der Regierung auszuschalten und die demokratischen Rechte und Freiheiten weiter einzuschränken, hiess es am Donnerstag.

Mit dem Ausnahmezustand kann Erdogan jetzt per Dekret regieren. Zudem können Grundrechte und Freiheiten eingeschränkt oder aufgehoben werden.

Bedenken aus dem Ausland

Im Ausland zeigte zunächst Österreich am deutlichsten seine Bedenken, indem es den türkischen Botschafter ins Aussenministerium einbestellte, um sich den Kurs des Landes erläutern zu lassen. Der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier forderte die Türkei am Rande einer US-Reise auf, den Ausnahmezustand so bald wie möglich zu beenden.

«Bei allen Massnahmen, die der Aufklärung des Putschversuchs dienen, müssen Rechtsstaatlichkeit, Augenmass und Verhältnismässigkeit gewahrt bleiben», sagte er in Washington. Auch US-Präsident Barack Obama mahnte zur Einhaltung in der Verfassung festgeschriebener Rechte.

Seit dem gescheiterten Putsch vor sechs Tagen wurden in der Türkei rund 60’000 Soldaten, Polizisten, Beamte und Lehrer entweder suspendiert oder festgenommen. Drahtzieher des Umsturzversuches ist aus Sicht Erdogans der in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen, dessen Auslieferung er bislang vergeblich gefordert hat.

Nächster Artikel