Nach der Schliessung vieler kritischer Medien gehen die türkischen Behörden gegen die wichtigste verbliebene Oppositionszeitung «Cumhuriyet» vor: Chefredaktor Murat Sabuncu und mindestens zwölf Mitarbeiter wurden festgenommen.
Dies berichtete «Cumhuriyet»-Redaktorin Ayse Yildirim am Montag. Insgesamt habe die Staatsanwaltschaft die Festnahme von 19 Mitarbeitern wegen des Verdachts der Unterstützung von Terrororganisationen angeordnet. Darunter seien auch der Vorstandsvorsitzende Akin Atalay, der im Ausland sei, sowie der im Exil in Deutschland lebende Ex-Chefredaktor Can Dündar.
Die Staatsanwaltschaft wirft der Zeitung vor, die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen unterstützt zu haben. Die Regierung beschuldigt Gülen, für den Putschversuch gegen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Mitte Juli verantwortlich zu sein. In der Türkei ist Gülens Bewegung – wie auch die PKK – als Terrororganisation eingestuft.
Unerschrockener Journalismus
Die Zeitung war erst im September mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden. Die Right Livelihood Award Stiftung hatte mitgeteilt, die «Cumhuriyet» erhalte den Preis «für ihren unerschrockenen investigativen Journalismus und ihr bedingungsloses Bekenntnis zur Meinungsfreiheit trotz Unterdrückung, Zensur, Gefängnis und Morddrohungen».
«Cumhuriyet» berichtete, die Staatsanwaltschaft habe beschlossen, dass den Festgenommenen fünf Tage lang der Kontakt zu Anwälten untersagt werde. Nach den derzeit in der Türkei geltenden Notstandsdekreten kann auf Beschluss der Staatsanwaltschaft die ersten fünf Tage nach der Festnahme der Kontakt zum Anwalt verwehrt werden. Verdächtige müssen ausserdem erst nach 30 statt bislang vier Tagen in Polizeigewahrsam einem Haftrichter vorgeführt werden.
Westen reagiert empört
Der Westen reagierte empört auf die Verhaftungen: «Das Vorgehen türkischer Behörden gegen ‚Cumhuriyet‘ und andere kritische Medien ist nicht tolerabel», sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. «Wo Pressefreiheit beschnitten wird und Journalisten in Angst leben, da ist die Demokratie am Ende.»
«Die jüngste Welle von Festnahmen ist ein neuer Schlag gegen die Pressefreiheit in der Türkei», sagte die OSZE-Beauftragte für Pressefreiheit, Dunja Mijatovic. Die Anti-Terror-Gesetzgebung sowie andere Gesetze würden zur Einschränkung der Arbeit der Presse eingesetzt. «Dieser besorgniserregende Trend muss sofort beendet werden», forderte die OSZE-Expertin am Montag in Wien.
Ex-Chefredakteur Dündar nannte das Vorgehen gegen die Zeitung einen Angriff auf die «letzte Festung». Dündar und sein Kollege Erdem Gül waren im November 2016 wegen der Veröffentlichung eines Artikels über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien festgenommen worden. Im Mai waren sie zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden.
Dündar kündigte anschliessend bei einer Europareise an, zunächst nicht in die Türkei zurückzukehren, und trat als Chefredaktor zurück. Er schreibt aber weiter für das Blatt.
Gegen Dündar und Gül ist noch ein weiteres Verfahren wegen Unterstützung einer Terrororganisation anhängig. Die nächste Verhandlung in diesem Fall ist für den 16. November angesetzt. Seit der Verhängung des Ausnahmezustands im Juli hat die Regierung zahlreiche kritische Medien schliessen lassen. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten.