Mit einem massiven Tränengas-Einsatz hat die türkische Polizei am Dienstagabend Tausende Demonstranten vom Taksim-Platz im Zentrum von Istanbul vertrieben. Die Polizisten feuerten Salven des Reizstoffs ab und zwangen die Kritiker von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zur Flucht in Seitenstrassen.
Anschliessend rückten die Sicherheitskräfte mit Unterstützung von Wasserwerfern und Mannschaftswagen weiter vor. Die Polizisten hatten den Platz im Morgengrauen gestürmt und sich den ganzen Tag über Auseinandersetzungen mit Demonstranten geliefert. Zahlreiche Personen wurden verletzt.
Ungeachtet der neuen schweren Gewalt erklärte der Gouverneur von Istanbul, Hüseyin Avni Mutlu mit dem Einsatz vom Morgen sollten nur Plakate und Spruchbänder auf dem Platz entfernt werden. Er rief die Demonstranten zur Ruhe auf.
Das Protestlager der Demonstranten im Gezi-Park werde nicht angerührt, versprach der Gouverneur. Später drang die Polizei zeitweise doch in das Lager vor, wie Aktivisten erklärten.
Die Demonstranten hatten den Platz mehr als eine Woche besetzt gehalten, um gegen den als autoritär empfundenen Kurs des konservativ-islamischen Regierungschefs zu protestieren.
Heimliche Islamisierung
Sie werfen Erdogan und seiner mit absoluter Mehrheit regierende AKP vor, die weltliche Republik insgeheim islamisieren zu wollen und die Freiheitsrechte der Bürger einzuschränken. Erdogan hatte den Polizeieinsatz verteidigt und Härte angekündigt.
Die türkische Anwaltskammer protestierte scharf gegen die Festnahme von 44 Juristen im Gerichtsgebäude Caglayan in Istanbul. Die Rechtsanwälte hätten Ermittlungen zu den brutalen Polizeieinsätzen gefordert, sagte der Präsident der Kammer, Metin Feyzioglu. Stattdessen seien sie selbst festgenommen worden.
Vorwürfe von Erdogan
Ministerpräsident Erdogan verteidigte den Einsatz und warf den Demonstranten erneut vor, sie hätten sich von Extremisten und internationalen Finanzkreisen instrumentalisieren lassen. In einer Rede vor Abgeordneten seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP in Ankara dankte Erdogan der Polizeiführung.
Den Demonstranten warf er Vandalismus und erhebliche Zerstörungen bei den Protesten in den vergangenen zwei Wochen vor. Es gebe einen Versuch, die Türkei mit Beteiligung ausländischer Kräfte wirtschaftlich in die Knie zu zwingen und Investoren einzuschüchtern.
Erdogan hatte erst am Montag bekanntgeben lassen, dass er sich am Mittwoch mit Vertretern der Demonstranten treffen wolle. Dies war als Geste der Beschwichtigung verstanden worden.
Landesweiter Protest
Im Zentrum von Istanbul war es in den vergangenen Tagen wiederholt zu gewaltsamen Zusammenstössen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen. Die Proteste hatten sich zunächst gegen die geplante Umgestaltung des Taksim-Platzes gerichtet, mittlerweile ist daraus aber eine Protestbewegung gegen die Regierung Erdogans und seine Partei erwachsen, die auch zahlreiche andere Städte erfasst hat.
Bei Zusammenstössen mit der Polizei wurden dabei in den vergangenen eineinhalb Wochen landesweit drei Menschen getötet und Tausende verletzt. Die Sicherheitskräfte wurden wegen ihres harten Einschreitens auch aus dem Ausland kritisiert.