Türkische Regierung entschuldigt sich bei Gewaltopfern

Nach tagelangen Protesten und Kritik am harten Einschreiten der Polizei gegen die Demonstranten geht die türkische Regierung auf die Protestierenden zu. Der stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arinc entschuldigte sich am Dienstag vor den Medien in Istanbul.

Aktivist liegt in Istanbul am Boden (Bild: sda)

Nach tagelangen Protesten und Kritik am harten Einschreiten der Polizei gegen die Demonstranten geht die türkische Regierung auf die Protestierenden zu. Der stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arinc entschuldigte sich am Dienstag vor den Medien in Istanbul.

«Die exzessive Gewalt, die anfangs gegen jene eingesetzt wurde, die ihre Sorge um die Umwelt äusserten, war falsch und unfair», sagte Arinc. Er sei bereit, sich mit einigen Organisatoren der ursprünglichen Kundgebung zum Erhalt des Taksim-Platzes in der Millionenmetropole zu treffen.

Seine Entschuldigung richte sich aber nicht an diejenigen, die Zerstörungen in den Strassen angerichtet hätten und versuchten, die Freiheit der Bürger einzuschränken.

Arinc‘ Initiative, die im Kontrast zu den zuvor geäusserten harten Vorwürfen von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan an die Demonstranten steht, könnte jedoch zu spät gekommen sein und nicht weit genug gehen, um die Regierungsgegner zu besänftigen.

Am Dienstag begann nämlich die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes KESK, die 240’000 Beschäftigte vertritt, einen zweitägigen Streik, um gegen den harten Einsatz der Polizei gegen die Demonstranten zu protestieren.

Schäden in Millionenhöhe

Am fünften Tag der Proteste in der Türkei präsentierte Innenminister Muammer Güler am Dienstag eine vorläufige Schadensbilanz. «Sicher müssen wir von Schäden in Höhe von mehr als 70 Millionen Lira (rund 35 Millionen Franken) ausgehen», sagte der Minister in einer Parlamentsdebatte in Ankara.

Nach seinen Angaben kam es in 77 der 81 Provinzen der Türkei zu 603 Protestaktionen. Dabei seien 280 Geschäfte, 6 öffentliche Gebäude, 103 Polizeifahrzeuge, 207 Privatwagen, eine Privatwohnung, ein Polizei- und 11 Gebäude der Regierungspartei AKP beschädigt worden.

Zwei Demonstranten getötet

Bei den seit mittlerweile fünf Tagen anhaltenden Protesten gegen die türkische Regierung war am Montag ein zweiter Demonstrant zu Tode gekommen. Der 22-Jährige sei bei einer Versammlung der Regierungsgegner in Antakya erschossen worden, teilte die Regionalregierung der Provinz Hatay mit. Wer geschossen hat und die genauen Umstände waren zunächst unklar.

Der Fernsehsender NTV berichtete, der Mann habe an einer Demonstration gegen die Politik von Ministerpräsident Erdogan teilgenommen und sei am Kopf getroffen worden. Der Mann sei Mitglied der Jugendorganisation der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) gewesen. Am Tag zuvor war in Istanbul ein Demonstrant von einem Taxi angefahren und dabei getötet worden.

Angefangen hatten die Proteste mit Kundgebungen gegen die Errichtung eines Einkaufszentrums am Taksim-Platz mitten im Geschäftsviertel Istanbuls. Die zunächst friedlichen Demonstrationen weiteten sich nach einem gewaltsamen Polizeieinsatz zu einem Bürgerprotest gegen Erdogan aus. Bei den Zusammenstössen wurden mehr als 1000 Menschen verletzt und Hunderte festgenommen.

Viele Türken werfen dem seit über einem Jahrzehnt regierenden Erdogan einen zunehmend autoritären Führungsstil und einen Maulkorb für die Medien vor. Zudem sehen viele Bürger die säkulare Verfassung in Gefahr, da Erdogans Partei AKP grosses Gewicht auf eine Islam-konforme Lebensweise legt.

Erdogan gibt sich unbeeindruckt

Erdogan, der sich trotz der landesweiten Demonstrationen auf eine Auslandsreise begeben hat, sieht die Aktionen von «extremistischen Elementen» organisiert, die «Arm in Arm mit dem Terrorismus» agierten.

In Marokko sagte er, die Proteste gingen von jenen Parteien aus, die die letzten Wahlen verloren hätten. In ein paar Tagen werde sich die Lage normalisieren. Die Demonstranten hätten ohnehin keinen Rückhalt in der Masse der Bevölkerung. Mit den Demokratiebewegungen des arabischen Frühlings sei die Situation in der Türkei nicht vergleichbar.

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