Nach der Entlassung zehntausender Staatsbediensteter hat die türkische Regierung erstmals gewählte Gemeindevertreter ihrer Ämter enthoben. Im Südosten des Landes kam es daraufhin in mehreren Städten zu Protesten.
Wie das Innenministerium am Sonntag mitteilte, wurden insgesamt 28 Bürgermeister unter dem Vorwurf abgesetzt, Verbindungen zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) oder zur Gülen-Bewegung zu unterhalten.
Literaturnobelpreisträger Pamuk kritisierte das Vorgehen der islamisch-konservativen Regierung: «Die Gedankenfreiheit existiert nicht mehr. Wir bewegen uns mit grosser Geschwindigkeit von einem Rechtsstaat zu einem Terrorregime», schrieb Pamuk in einem Gastbeitrag für die italienische Zeitung «La Repubblica» vom Sonntag.
Regierungsnahe Beamte eingesetzt
Das Innenministerium erklärte, 24 der abgesetzten Bürgermeister seien wegen PKK-Kontakten abgesetzt worden, die vier weiteren wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung. Sie seien durch regierungsnahe Beamte ersetzt worden. Die Regierung wandte für die Massnahme Sondervollmachten unter dem seit dem Putschversuch vom 15. Juli geltenden Ausnahmezustand an.
Viele der abgesetzten Bürgermeister gehören der prokurdischen Oppositionspartei HDP an. Diese verurteilte das Vorgehen gegen die 2014 gewählten Gemeindechefs als «Putsch».
Die Regierung erinnere mit ihrem Vorgehen an den Militärputsch von 1980 und ignoriere den Wählerwillen. Nun werde es noch schwerer werden, den Kurdenkonflikt beizulegen. «Die Menschen werden dieser Mentalität nicht nachgeben», fügte die HDP hinzu.
Unter den betroffenen Städten sind einige mit hoher PKK-Aktivität wie Sur, Silvan und Nusaybin. Auch die Bürgermeister der Städte Batman und Hakkari wurden ausgetauscht. Laut dem Innenministerium befanden sich zwölf der abgesetzten Bürgermeister bereits in Haft. Der Konflikt zwischen der türkischen Regierung und der PKK war nach dem Zusammenbruch einer Waffenruhe vor einem Jahr eskaliert.
Der erst seit Anfang September amtierende Innenminister Süleyman Soylu erklärte, es dürfe nicht zugelassen werden, dass «Terroristen» das Sagen in den Rathäusern hätten. Justizminister Bekir Bozdag sagte: «Gewählt zu sein bedeutet nicht, das Recht zu haben, eine Straftat zu begehen.» Er warf den Bürgermeistern vor, Gelder an «Terror»-Gruppen geschleust zu haben.
Polizei geht gegen Demonstranten vor
Nach der Bekanntgabe der Massnahme zogen Demonstranten vor die Rathäuser von Hakkari und Suruc. Sie lieferten sich Zusammenstösse mit Sicherheitskräften. In der Kurdenmetropole Diyarbakir setzte die Polizei Wasserwerfer ein, um Demonstranten auseinanderzutreiben.
Die US-Botschaft in der Türkei zeigte sich «besorgt über die Zusammenstösse im Südosten der Türkei».
Ausser gegen PKK-Anhänger geht die türkische Regierung derzeit massiv gegen Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen vor, den Ankara für den Putschversuch verantwortlich macht. Zehntausende Mitarbeiter von Armee, Polizei, Justiz und Regierung sowie Lehrer, Dozenten und Journalisten wurden festgenommen, ihrer Posten enthoben oder versetzt.