In der Korruptionsaffäre verliert Tayyip Erdogan die Rückendeckung von Präsident Abdullah Gül. Der Weggefährte distanziert sich vom kompromitierten Ministerpräsidenten.
Der türkische Präsident Abdullah Gül hat sich in der Korruptionsaffäre um die Regierung in Ankara mit klaren Worten von Premier Recep Tayyip Erdogan distanziert. Er wies die These Erdogans, bei den Vorwürfen handle es sich um ein Komplott ausländischer Kräfte, zurück. Dies sei eine Äusserung wie aus «Drittweltländern», sagte Gül im Gespräch mit türkischen Journalisten während eines Besuchs in Dänemark, wie türkische Zeitungen am Mittwoch berichteten.
Korruptionsvorwürfe gegen vier Ex-Minister Erdogans sollten am Mittwoch bei einer Sondersitzung des Parlaments debattiert werden. Mitte Dezember wurden Korruptionsvorwürfe bekannt, die bis in Erdogans eigene Familie hineinreichen. Der Premier spricht von einem «Komplott», liess Tausende Polizisten und Staatsanwälte versetzen und setzte Minister ab.
Tonaufnahem auf Youtube
In einer über Youtube verbreiteten Tonaufnahme ist angeblich Erdogan zu hören, wie er seinen Sohn Bilal auffordert, Millionenbeträge vor Korruptionsermittlern in Sicherheit zu bringen. Beide beraten angeblich darüber, wie das Geld auf verschiedene Unternehmer zu verteilen sei. Erdogan nannte die kompromittierende Tonaufnahme eine «schamlose Montage».
Erdogan macht die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen für die Korruptionsvorwürfe verantwortlich und wirft Gülen vor, er wolle mit der Bildung «paralleler Strukturen» im Staatsapparat die Regierung stürzen.
Gül vermied die Verwendung dieses Begriffs und sagte, Staatsbedienstete könnten durchaus «unterschiedliche Ansichten» haben. Sollte es Verfehlungen gegeben haben, gebe es rechtliche Mittel zu deren Ahndung. Er forderte zudem, die Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung müssten transparent aufgearbeitet werden.
Weggefährten – und Konkurrenten?
Anders als Erdogan verlangte Gül auch, die Schuldigen für den Tod des Jugendlichen Berkin Elvan müssten rasch gefunden werden. Der Junge war während der Gezi-Proteste im vergangenen Jahr von einer Tränengaskartusche der Polizei am Kopf getroffen worden und nach monatelangem Koma in der vergangenen Woche gestorben.
Gül betonte, der Rechtsstaat müsse sicherstellen, dass sich ein solcher Fall nicht wiederhole. Erdogan hatte das Vorgehen der Polizei gerechtfertigt. Gül und Erdogan sind politische Weggefährten und zählen zu den Gründern der Regierungspartei AKP.
Kritiker werfen Gül vor, aus Rücksicht auf Erdogan die Kontrollbefugnisse des Präsidenten über die Regierung nicht genügend einzusetzen. Erdogan werden Ambitionen auf das Präsidentenamt nachgesagt, doch hat Gül bisher nicht erklärt, ob er bei der ersten Direktwahl des Staatsoberhaupts im August noch einmal antreten will.