Ungeachtet internationaler Kritik hat das türkische Parlament die Kontrolle des Internets deutlich verschärft. Behörden dürfen demnach den Zugang zu Internetseiten auch ohne richterlichen Beschluss sperren.
Das Gesetz verpflichtet Internetanbieter zudem, Nutzer-Daten bis zu zwei Jahre zu speichern. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte für den Gesetzesvorschlag der islamisch-konservativen Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan.
Der Entscheid fiel nach einer mehrstündigen hitzigen Debatte. Die Opposition warf der Regierung «Zensur» vor. Erdogans islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) verfügt über 319 der 550 Mandate in der Parlamentskammer.
Das neue Internetgesetz gewährt Behörden auch das Recht, von Providern die Herausgabe von Nutzerdaten zu verlangen sowie das Surfverhalten von Internetnutzern aufzuzeichnen und zwei Jahre lang zu speichern.
Die Regierung argumentiert, die Neuregelung trage zum besseren Schutz von Persönlichkeitsrechten im Internet bei. Ein AKP-Abgeordneter begründete das Vorhaben mit dem Schutz von Familien, Kindern und Jugendlichen vor Inhalten, «die Drogenkonsum, sexuellen Missbrauch und Selbstmord befördern».
«Freiheitsrechte eingeschränkt»
Kritiker sagen dagegen, das Gesetz gebe der Regierung die Macht, willkürlich über die Sperrung von Inhalten zu entscheiden. Der Abgeordnete Altan Tan von der prokurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP) sagte, die Massnahmen liefen auf Einschränkungen von Freiheitsrechten hinaus.
Hasan Ören von der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) warf der Regierung gar «Faschismus» vor. Schon unter dem derzeit geltenden Internetgesetz können Webseiten relativ einfach gesperrt werden, allerdings nur mit Gerichtsbeschluss.
Betroffen waren bereits die Blog-Plattform WordPress und die Video-Portale DailyMotion und Vimeo. YouTube war bis 2010 sogar zwei Jahre lang gesperrt. Das Parlamentsvotum steht in einer Reihe von Massnahmen der Regierung Erdogan gegen unliebsame Kritiker. Erdogan steht seit Monaten massiv unter Druck.
Mitte Dezember hatte die Justiz zahlreiche Manager und Politiker aus dem Umfeld der Regierung festnehmen lassen. Ihnen wurde die Verwicklung in einen weitverzweigten Korruptionsskandal vorgeworfen. Erdogan bezeichnet den Skandal als Verschwörung gegen seine Regierung und liess hunderte Polizisten und Staatsanwälte versetzen.
EU und OSZE besorgt
Der Sprecher von EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle sagte in Brüssel, das Gesetz rufe «ernsthafte Besorgnis hervor», in seiner jetzigen Form führe es «mehrere Einschränkungen für die Meinungsfreiheit» ein. Als Kandidat für einen EU-Betritt müsse die Türkei das Gesetz ändern und europäischen Standards anpassen.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa warnte, das neue Gesetz führe dazu, dass Kommunikationsdaten von Internetnutzern «ohne jegliche rechtliche Beschränkung» gesammelt werden könnten und die Nutzer nicht wüssten, «wann und wie» dies geschehe.
Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen erklärte, das Ziel der Massnahmen sei «verstärkte Webzensur, Regierungskontrolle des Internets und Überwachung». Das Committee to Protect Journalists sprach von «Internet-Autoritarismus» in einem Land, das zu den Staaten zähle, die die meisten Journalisten ins Gefängnis steckten.